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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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macht. Aber das habe ich auch nicht verstanden.«
    Nein, dachte Leire ein wenig gerührt, das konntest du nicht verstehen. Sie fröstelte, die Wohnung war eiskalt. Am liebsten hätte sie den Jungen dort so bald wie möglich herausgeholt.
    »Ist dir nicht kalt?«, fragte sie.
    »Ein bisschen.«
    »Möchtest du … dass wir etwas essen gehen?«
    Er schaute sie an, ein wenig verblüfft.
    »Du bist eingeladen«, sagte Leire. »Du kennst bestimmt eine Pizzeria hier in der Nähe. Wenn du Lust hast, klar.«
    Guillermo sagte ja. Mit der Fernbedienung schaltete er den DVD-Player aus und stand auf.
    »Ich darf nur nicht zu spät kommen«, sagte er lächelnd. »Mein Vater kreuzigt mich sonst.«
    Sie gingen in eine nahe gelegene Pizzeria, die so leer war wie das Loft, das sie gerade verlassen hatten. Leire dachte erst, sie würde garantiert nur eine Winzigkeit essen, aber dann bestellte sie zwei große Stücke Pizza, genau wie Guillermo. Sie sprachen ein wenig über alles, über Carol, die Schule und selbst Héctor in seiner Rolle als Vater, doch zum Schluss, während sie auf die Rechnung warteten, kehrte das Gespräch zum Ausgangspunkt zurück.
    »Wir finden heraus, was mit ihr passiert ist, Guillermo.«
    Er senkte den Kopf und murmelte:
    »Am Anfang haben alle gesagt: ›Wir werden deine Mutter finden.‹ Alle, Papa, die Señora Carmen, selbst mein Tutor in der Schule. Jetzt sagt das keiner mehr.«
    »Aber wenn wir herausfinden, was mit ihr passiert ist, vielleicht …«
    »Du denkst, dass sie tot ist.« Er sagte es leise, und wenn nicht seine Augen gewesen wären, hätte Leire gedacht, er sei sich der Bedeutung dieses Satzes nicht bewusst. »Alle glauben es. Vor allem mein Vater.«
    Sie musste schlucken. Suchte nach Worten. Jeder Satz kam ihr lächerlich vor.
    »Deshalb gehe ich manchmal hin. Um an sie zu denken, ohne dass Papa es merkt. Irgendwann wird die Wohnung aufgelöst, und wir nehmen die Zeichnungen mit, ihre Sachen. Aber solange sie dort sind, kann ich denken, dass sie eines Tages wiederkommt.« Er schaute sie an, wie sie es bei einem so jungen Menschen noch nie gesehen hatte. »Nein, ich bin nicht dumm. Ich glaube auch, dass sie tot ist. Aber sich etwas vorzumachen ist manchmal nicht schlecht, oder?«
    »Natürlich nicht. Das tun wir alle«, murmelte Leire.
    »Schlimm ist es, wenn ich nach Hause komme und sehe, dass mein Vater nicht schläft, fast nichts isst. Nur raucht, eine nach der anderen. Und ich habe Angst, dass ihm auch etwas passiert.«
    »Dein Vater ist sehr viel stärker, als du glaubst. Ihm wird schon nichts passieren.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Mama hat immer gesagt, Papa ist nur nach außen hart. Und die kannte ihn gut.«
    Der Kellner brachte die Rechnung, und als er wieder ging, wollte sie schon Guillermos Hand nehmen, eine spontane Geste, die sie selbst mehr verwundert hätte als den Jungen, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten.
    »Hör zu, ich kann dir nicht versprechen, dass ich deine Mutter lebend finde. Aber ich werde alles tun, um herauszukriegen, was mit ihr passiert ist. Und sobald wir die Wahrheit wissen, wird dein Vater zur Ruhe kommen. Das verspreche ich dir.« Guillermos Miene kam ihr allzu skeptischvor. »Noch etwas. Ich gebe dir meine Telefonnummer und meine Adresse, und wenn du mal von Ruth sprechen möchtest, von deiner Mutter, ruf mich an oder komm vorbei. Einverstanden?«
    Er speicherte die Nummer auf seinem Handy, und sie gingen hinaus. Es war zwar noch keine zehn Uhr, aber die Kälte wurde immer schneidender. Leire hielt ein Taxi an und sagte zu Guillermo, sie könne ihn gerne bei ihm in der Nähe absetzen.
    »Aber vergiss nicht, kein Wort zu deinem Vater, bitte.«
    Er lächelte und schlug ein.
    Keiner der beiden achtete auf den Wagen, der ihnen folgte.

26
    Gefängnisse, sagte sich Leire, hatten wie Krankenhäuser einen unverwechselbaren Geruch. Sosehr die Gesellschaft auch versuchte, ihnen äußerlich alles Gefängnishafte zu nehmen und die Anmutung eines Studentenwohnheims zu verleihen, sprachen sie, kaum dass man durch den Eingang, über die Höfe, durch die Gitter und selbst in die Büros trat, leise von Ausgrenzung, von Eingesperrtsein. Von Strafe.
    Und das, obwohl Brians II ziemlich neu war und die Philosophie der Resozialisierung noch das kleinste Detail bestimmte. Gedacht auch, um uralte Gefängnisse wie das Modelo zu entlasten, hatte man dieses neue Gebäude an der Carretera de Martorell voller Stolz im ersten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts

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