Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
zuvor die DVD ausgeliehen hatte, und tatsächlich bekam sie einen recht preisgünstigen und war bald in ihrer Wohnung. Sie brauchte ein paar Minuten, um ihn anzuschließen, und dann ging sie die Kassetten durch. Es waren zwar nicht viele, aber Leire machte sich gefasst auf viele Stunden mit dunklen Stummfilmbildern und unbewegterKamera. Sie wollte keine zufällig herausgegriffene einlegen und prüfte alle eingehend. Die Kassetten waren nur mit einer Nummer gekennzeichnet, und Leire sagte sich, wenn Ruth zu Omar gegangen wäre, hätte er das Video mit der Aufzeichnung dieses Besuchs sicher markiert. Als sie dann sah, dass auf einer der Kassetten ein Sternchen neben der Nummer war, beschloss sie, damit anzufangen.
Die Kamera war offenbar in einer Ecke des Zimmers angebracht. Leire sah den Tisch von Dr. Omar, mit ihm im Profil, und die Person, die jeweils hereinkam und ihm gegenüber Platz nahm. Zwanzig Minuten lang sah sie dieses Standbild und das Kommen und Gehen, und sie fragte sich, wie die Leute nur einer solch finsteren Gestalt vertrauen konnten. Wie vermutet hatte das Video keinen Ton, so dass der Inhalt, abgesehen von dem unangenehmen Gefühl, diesem Kerl zuzusehen, ziemlich langweilig war. Doch plötzlich, als Leire schon dachte, das Sternchen hätte nichts zu bedeuten, fuhr sie auf und saß mit offenem Mund da. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie Ruth Valldaura in Bewegung.
Ihr Herz schlug schneller. Ruth war also tatsächlich … »Liebe schafft ewige Schuld.« Und geliebt hatte sie Héctor Salgado, es konnte also durchaus sein, dass sie zu Omar gegangen war, um ihrem Exmann zu helfen, nachdem der den schwarzen Heilkünstler zusammengeschlagen und einen solchen Ärger am Hals hatte. Sie verfluchte, dass es keinen Ton gab, trat näher heran und konzentrierte sich auf die Mienen der beiden: Ruth zwischen besorgt und überrascht, auch mal verächtlich; er gleichgültig, fast höhnisch, am Ende todernst. Dann stand Ruth auf und ging, sehr schnell, als wollte sie nur raus aus diesem Raum, den sie freiwillig betreten hatte.
Leire sah sich die Aufnahme immer wieder an, starrte auf den Bildschirm, bis ihr die Augen schmerzten, wurde abernicht schlauer. Enttäuscht wollte sie das Video schon anhalten, als es klingelte. Sie nahm die Fernbedienung, drückte den Pausenknopf und ging zur Gegensprechanlage an der Tür.
»Ja?«
»Leire Castro?«
»Ja. Wer ist da?«
Im Dielenspiegel sah sie Dr. Omar, eingefroren auf dem Bildschirm des Fernsehers. Falten der Schlechtigkeit, nicht nur des Alters, sagte sie sich. Das Abbild eines schwarzen Geiers.
»Sie kennen mich nicht, aber ich glaube, wir sollten miteinander sprechen.«
Es war die Stimme eines Mannes mittleren Alters.
»Wer sind Sie?«, fragte sie noch einmal.
»Ich heiße Andrés Moreno. Mein Name wird Ihnen nichts sagen, aber ich habe Grund zu der Annahme, dass wir an derselben Person interessiert sind.«
»Ich weiß nicht, was Sie …«
»Ich kann Ihnen Informationen geben über Ruth Valldaura.«
»Was?«
Der Alte im Spiegel schien zu lächeln. Er hatte eine Hand erhoben, eine Hand mit dünnen Fingern wie Drähten, als könnten sie einen mit einer Liebkosung schneiden.
»Wirklich, ich glaube, es gibt etwas über sie, was Sie wissen sollten. Lassen Sie mich bitte herein.«
Leire bekam plötzlich Angst. Nein, einen Unbekannten würde sie nicht hereinlassen, und genau so sagte sie es ihm.
»Wie Sie möchten«, antwortete er. »Machen wir es anders. Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer. Rufen Sie mich morgen an, und wir verabreden uns an einem öffentlichen Ort. Ist Ihnen das lieber?«
Ihr kam es vor, als spräche die Stimme aus dem Gesichtauf dem gespiegelten Bildschirm, was natürlich absurd war. Es war weder der Akzent eines alten Nigerianers, noch klang es nach dem Jenseits. Leire zitterten die Knie, und sie musste sich beherrschen, um ruhig zu bleiben.
»Einverstanden«, sagte sie und notierte die Nummer.
»Rufen Sie mich an. Bitte.«
Im Spiegel starrte weiterhin Dr. Omar. Wie für die Ewigkeit. Wie eine Schlange, die gleich ihr Gift spuckt.
AMANDA
28
Héctor saß im Terminal 1 des Flughafens und schaute auf den Monitor, der Flug aus Madrid verspätete sich um vierzig Minuten. Sieben Jahre und vierzig Minuten, korrigierte er für sich. Zum ersten Mal in seinem Leben war er froh über einen solchen Aufschub, und während er sah, wie die Geschäfte in der Halle nach und nach schlossen, dachte er, dass er einen Moment Stille brauchte, und sei es an
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