Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Carmen das ganze Wochenende nicht gesehen: Der verlorene Sohn war da. Héctor trank den zweiten Kaffee mit seiner zweiten Zigarette und einem unbehaglichen Gefühl, das er sich zunächst nicht erklären konnte, doch dann drängte immer deutlicher das Bild von Lola in sein Bewusstsein, dazu die kurze Fahrt zu ihrem Hotel.
Während er sie hinbrachte, hatte Héctor begriffen, dass die Jahre ihnen etwas genommen hatten, was für sie immer wichtig gewesen war: ein tiefes Einverständnis. Natürlich waren beide müde, auch etwas unsicher, wie sie miteinander umgehen sollten, und so tauschten sie nur Belanglosigkeiten über Flüge und Verspätungen aus. Doch zum Schluss, als sie beim Hotel ankamen, fragte er sie: »Wie geht’s dir eigentlich?« Lola schaute ihn an, zeigte ihr so typisches Lächeln und sagte: »Um sieben Jahre zusammenzufassen, brauche ich etwas mehr als sieben Minuten, Héctor. Ich bin fix und fertig. Wir sprechen noch.«
Die Büros des Instituts für Betriebliche Weiterbildung befanden sich an der Diagonal, nicht weit von der Plaza Francesc Macià, und wirkten noch amerikanischer als Familiengespräche am Küchentisch. An einem klaren Sommertag musste man von den Fenstern aus eine fantastische Aussicht haben, doch an diesem Dienstag mitten im Januar trübten schmutzige Regentropfen die Scheiben und verwischten den Hintergrund. Dank Saúl Duques Hinweis hatte Héctor am Nachmittag zuvor dort angerufen und einen Termin mit den beiden Trainern vereinbart, die die Gruppe von Alemany Kosmetik betreuten. Und jetzt saßen sie vor ihm: ein schon etwas älterer, beleibterer und ergrauterer Herr namens Ricart und ein etwas jüngerer, dafür mit Vollglatze. Als sie den Termin machten, war der Artikel noch nicht erschienen, doch beide schienen auf dem Laufenden zu sein. Garantiert hat Sílvia Alemany sie heute Morgen angerufen, dachte Héctor. Um sie zu warnen.
»Am Telefon habe ich nicht ganz verstanden, womit wir Ihnen helfen können, Herr Inspektor«, begann der Jüngere. Der andere, zweifellos sein Chef, blickte stumm.
»Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht«, gestand Salgado. »Nach meinen Informationen sind Sie seit einiger Zeit mit den Teambuilding-Programmen bei der Firma Alemany Kosmetik betraut. Im März des vergangenen Jahres haben Sie ein Wochenende für eine Gruppe von acht Personen organisiert: Sílvia Alemany, César Calvo, Brais Arjona, Octavi Pujades, Manel Caballero, Gaspar Ródenas, Sara Mahler und Amanda Bonet. Wie Sie bereits wissen«, er wartete auf eine zustimmende Reaktion, aber es kam nichts, »sind dreivon ihnen in den letzten Monaten unter, sagen wir … merkwürdigen Umständen gestorben. Zu viel des Zufalls, meinen Sie nicht? Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie mir alle Informationen zur Verfügung stellen könnten, die Sie über diese Tage haben.«
Die beiden wechselten einen raschen Blick, und zum ersten Mal ergriff der Ältere das Wort.
»Ich denke, es spricht nichts dagegen, Herr Inspektor. Auch wenn ich nicht glaube, dass es da viel zu sagen gibt.«
Er setzte die Lesebrille auf und blätterte in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch.
»Ja, ich erinnere mich.« Er setzte die Brille ab und sprach weiter. »Für uns war es eine interessante Gruppe.«
»Ach ja?«
»Ja.« Er schwieg, überlegte, wie er das Thema angehen sollte. »Kennen Sie sich mit Gruppenpsychologie aus?«
»Etwas, aber Sie können meine Kenntnisse sicher erweitern.« Héctor lächelte.
»Ich will es versuchen, Herr Inspektor«, sagte er, und zu seinem Assistenten gewandt: »Joan, ich glaube, das schaffe ich allein. Wenn Inspektor Salgado mit dir sprechen möchte, kann er es nachher.«
Besagter Joan schien überrascht, verstand aber den Wink mit dem Zaunpfahl und ging.
»Jetzt können wir freier reden. Vor Mitarbeitern zu sprechen zwingt mich zu einer Political Correctness, die mich nervt.« Er lächelte. »Aber eine Sache vorweg: Ich glaube nicht, dass das, was ich Ihnen erzählen kann, für Sie von Belang ist.«
»Lassen Sie das mich beurteilen.«
»Ich will zumindest deutlich sein. Also, wie ich eben sagte, war es für uns eine interessante Gruppe, und zwar aus folgendem Grund: In einer Gruppe von acht Personen lässt sich in der Regel ein Anführer ausmachen, höchstens zwei.Hier jedoch hatten wir es mit drei zu tun, und das ist ungewöhnlich. Zunächst waren da natürlich der offizielle, Sílvia Alemany, und was wir Anführer aufgrund von Erfahrung nennen, Octavi Pujades. Aber sofort trat
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