Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
nicht dabei, klar, und Héctor würde Fort zu ihm schicken müssen, sollte er selbst nicht hinfahren können. Die Gesichter der drei Männer drückten unterschiedliche Gefühle aus, wenn auch eines hervorstach: die Überraschung, vor allem in den Mienen von Brais Arjona und Manel Caballero, Letzterer fast am Rande der Panik. César Calvo dagegen, Sílvias Verlobter, schien die Nachricht von Amandas Tod gefasster aufzunehmen.
»So ist der Stand der Dinge, meine Herren. Von den acht Personen, die an diesem Teambuilding-Wochenende zusammen waren«, und er sah verstohlen zu Sílvia, »sind drei unter merkwürdigen Umständen gestorben. Am 5. September erschießt sich Gaspar Ródenas, nachdem er seine Frau und seine Tochter getötet hat. Genau vier Monate später, in der Nacht auf den 6. Januar, springt Sara Mahler auf die Gleise der Metro. Und gestern Abend, kaum zehn Tage danach, nimmt Amanda Bonet mutmaßlich eine ganze Schachtel Schlaftabletten. Drei Selbstmorde. Ohne erkennbares Motiv. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Ohne Ankündigung, ohne vorherigen Versuch. Und jetzt frage ich Sie: Sind Sie sicher, dass Sie mir nichts zu erzählen haben?«
Manel Caballeros Hände zitterten. Er war der Einzige, der etwas zeigte, was über Kummer oder Besorgnis hinausging. Gleichwohl sprach nicht er, sondern Brais Arjona.
»Ich verstehe, dass es Sie verwundert, Inspektor. Ich muss zugeben, auch ich bin beunruhigt. Aber ich weiß nicht, womit wir Ihnen helfen können. Womit ich Ihnen helfen kann.«
»Wo waren Sie gestern Abend zwischen acht Uhr und halb zehn?«
»Zu Hause, mit David. Ab wann, weiß ich nicht.« Er wandte sich an Manel Caballero, der ihn genauso ängstlichansah, wie er zum Inspektor schaute. »Wann haben wir uns verabschiedet? Wird acht Uhr gewesen sein, oder?«
Héctor musste innerlich lachen. Darum ging es also jetzt, gemeinsame Alibis. Er wartete nicht auf Caballeros Antwort und fragte César Calvo spöttisch:
»Und Sie waren, nehme ich an, bei Ihrer Verlobten, nicht wahr? Alles sehr originell.«
»Halten Sie es für gelogen, aber so ist es.«
»Ich lag im Bett«, griff Sílvia ein. »Mir ging es nicht gut, das sagte ich Ihnen bereits. Ich weiß nicht, wann César aus dem Haus gegangen ist, aber meine Tochter wird es Ihnen sagen können. Und sparen Sie sich Ihren Sarkasmus, Inspektor. Wir tun, was wir können, um etwas beizutragen.«
Wie Héctor sie hasste. Aber er atmete tief durch und bewahrte die Ruhe. Amanda hatte jemanden im Wald gesehen, das war das Einzige, was er bei dem Gespräch mit Saúl Duque herausbekommen hatte. Besser nicht erwähnen, dachte er. Noch nicht. Lass die Karte stecken, bis du weißt, wann du sie ausspielen kannst, Salgado.
»Wenn Sie mit Octavi Pujades sprechen möchten, gibt Ihnen mein Assistent seine Nummer. Sie wissen ja, Herr Pujades hat sich wegen der Krankheit seiner Frau beurlauben lassen.«
Héctor lächelte. Zumindest hier konnte er einen Treffer landen.
»Wenn Sie von Ihrem Assistenten sprechen, meinen Sie Saúl Duque?«
»Ja.«
»Ich dachte, Sie mögen das Wort nicht.« Er tauschte sein Lächeln gegen eine besorgte Miene. »Ich fürchte, Herr Duque wird einige Tage nicht zur Arbeit kommen. Er ist sehr mitgenommen, tief erschüttert, nachdem er seine Partnerin tot im Bett aufgefunden hat.«
Die Zimmerdecke hätte herabstürzen können, und niemand hätte auch nur geschrien. In den Gesichtern der Versammelten lag eine Mischung aus Erstaunen und Angst, und Héctor hatte seine Freude daran. Sadismus ist ansteckend, sagte er sich.
»Wussten Sie nicht, dass Saúl und Amanda eine Beziehung hatten?« Er wollte nicht in die Einzelheiten gehen, wozu auch. »Tja, das Leben ist voller Überraschungen. Und voller Geheimnisse. Aber es ist nur eine Frage der Zeit. Nach und nach kommt die Wahrheit heraus … Darin besteht meine Arbeit: der Wahrheit ans Licht zu verhelfen, sie auszustellen, damit alle sie sehen. Und glauben Sie mir, ich genieße es.«
Die vierzig Minuten waren jetzt sechzig und wogen schwer wie zweihundert. Héctor konnte nicht mehr denken, sein Gehirn wollte nur abschalten. Und als der Schlaf gerade schon das Bewusstsein zum Teufel jagte, spuckten die Türen auf einmal Leute aus. Übermüdete Passagiere, die, eiligen Schrittes, ein Blick auf die Uhr, einen Tag beenden wollten, der sich länger als gedacht hingezogen hatte.
Dort war sie, kam auf ihn zu und lächelte, auch wenn sie kaum die Augen offen halten konnte.
Lola.
Sieben Jahre und viele Minuten
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