Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
denn Kopp hatte seins woanders abgestellt als Juri. Er musste Straßenbahnschienen folgen, nun, da er allein war, sich dichter an den Hauswänden haltend. Und wie er so ging, merkte er, dass er es wohl nicht mehr bis zum Auto schaffen würde, ohne vorher einen Hieb Asthmaspray zu nehmen. Er stellte sich dafür in einen Hauseingang, und wie er so dastand, ausatmete, den Inhalator in den Mund nahm, bereit, kräftig wieder einzuatmen und anschließend die Luft anzuhalten, sah er zugleich zweierlei: erstens eine junge Frau in einem kurzen, bereits durchnässten Kleid (millefleurs), die auf ihn zukam, und zweitens die Oberleitung der Straßenbahn, die bedrohlich schwankte. Als eines
der Kabel mit einem markerschütternden Krachen riss, ließ Kopp den Inhalator los, packte Flora am Arm und zog sie zu sich in den Hauseingang. Durchnässt, keuchend, ihr fehlten die Worte, ihm auch, aber er konnte zeigen: Schauen Sie, wie sich die Leitung Funken schlagend auf den Schienen windet. Eine wahnsinnige Schlange. Sie sahen ihr beide zu, und beide sahen sie nach einer Weile, dass die Leitung Flora nicht getroffen hätte, trotzdem, danke, dass Sie bereit waren, mir das Leben zu retten. Ich habe nur getan, was ein jeder getan hätte usw. Ihr Hemd ist gerissen. Ja. (Hat er ihr je die Wahrheit gesagt? Ja. Sie lachten sehr herzlich darüber.) Um es kurz zu machen: es stellte sich heraus, dass sie in eben jenem Haus wohnte, in dessen Eingang er sie gezerrt hatte. Oh. Dann habe ich Sie praktisch nach Hause gebracht. Auch darüber lachten sie sehr herzlich. Den Rest kennt man. Sie lud ihn zu sich ein. Sie kochte einen Tee, später ein Abendessen. Er sagte nicht, dass er schon hatte. - Ich bin doch nicht verrückt! - Sie konnte gut kochen (Es war nur ein Letscho mit Ei, Liebster. - Das beste, das ich je gegessen habe!), das machte ihn froh. Ja, ich war schon dabei, mich auf den Rest meines Lebens mit dir einzurichten. Er merkte: er war schon dabei, sich auf den Rest seines Lebens mit dieser Frau einzurichten, und auch darüber war er glücklich. Später stellte sich heraus, dass sie sich, erstens, mehr oder weniger in allen Punkten unterschieden, äußerlich wie innerlich wie von den Interessen her - sie musisch, er technisch, auch politisch waren sie nicht einer Meinung (er steht dazu, den Kapitalismus für das einzig funktionierende Wirtschaftssystem zu halten, sie nicht) - aber dass das, zweitens, keinerlei Rolle für ihre gemeinsame Zukunft spielte. Wir haben nichts gemeinsam, außer, dass wir uns lieben, sagt er, was er von ihr gehört hat, hebt die Schultern und dreht, zum Zeichen seiner fröhlichen Ratlosigkeit, drollig die Handflächen nach oben. (Und sie ist
sogar schön! Ihre Brüste sind wie Zigeuneräpfel, ihr Nabel eine winzige Muschel, ihr Busch hat die Form einer Dattelpalme, und sie hat diesen schönen, runden, ungarischen Arsch, neben dem die Honigmelone vor Neid erblasst! - Die Honigmelone erblasst vor Neid? Du bist völlig hinüber, Alter, oder? - Ja, mein Freund, das bin ich.)
Im Herbst des Jahres 1999 verliebte sich Darius Kopp in eine ungarische Studentin der Literatur- und der Theaterwissenschaft, aber auf eine Weise, na, nicht gerade, dass er Atemnot bekam, wenn sie sein Sichtfeld verließ, aber nach 2 oder 3 Stunden ohne sie musste er schon wieder an sie denken.
So, so, mein Sohn, sagte Greta Kopp, geborene Krumbholz, du hast also jemanden kennengelernt. Eine Osteuropäerin. Was, meinst du, wird sie von dir wohl wollen? Sie ist doch bestimmt schon schwanger.
Nein, Mutter, das war eure Geschichte.
Darauf folgte eine furchtbare Szene, Zeter, Mordio, Rotz und Tränen, entschuldige dich gefälligst bei der Frau, die dich geboren und vorher rasch deinen Vater geheiratet hat, um nicht mit der Schande allein zu bleiben!
Weißt du, für mich ist das auch nicht gerade ein Triumphmarsch, schließlich bin ich diese potenzielle Schande.
Schwamm drüber oder auch nicht; diese unnötigen Grausamkeiten in Friedenszeiten.
Aber wo kommt sie überhaupt her, was weiß man überhaupt über ihre Familie?
Wieso, ist unsere etwa so besonders? Aber bitte schön, hier das wenige, das Kopp erfuhr (sie erzählte, im Gegensatz, nicht wahr, zu den meisten, nicht besonders gerne von sich, so dass man es diesmal kaum zusammenfassen muss):
Der Vater galt als unbekannt, die Mutter war ein nervliches Wrack. Das Mädchen wuchs bei der Oma auf dem Land auf,
Korn, Kombajn und Kühe auf der einen, Katholizismus und Kommunismus auf der anderen
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