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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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als er sagte, daß er sich an die Zahl nicht erinnern konnte. Vermutlich ist das eine Art seelische Selbstverteidigung, redete er sich ein. Zu Anfang hatten ihn Alpträume gequält, später hatte er sich gezwungen, die Erinnerungsbilder zu verdrängen, und jetzt konnte er sie sich nur noch mit Mühe vor Augen fuhren.
    Es geschah auch, daß er nach einem nur allzu bekannten Muster die Schuld mit dem Argument von sich zu weisen versuchte, »Ich habe nur Befehle befolgt«. Drei Regierungen waren sich beispielsweise vollkommen einig gewesen, den Befehl zu erteilen, der in der Sache bedeutete, daß Mike Hawkins’ Lockvögel geschlachtet und vernichtet werden sollten, Menschen, die in dem Spiel keine andere Funktion hatten, als ermordet zu werden. Obwohl es Carl schwerfiel zu glauben, daß irgendein Politiker sich deswegen Selbstvorwürfe machte. Manchmal fragte er sich, ob sie einen Verdrängungsmechanismus besaßen, der so funktionierte, daß sie ihren eigenen Worten von »lästigen Personen« oder »Zeugen können wir nicht gebrauchen« und derlei tatsächlich glaubten. Politiker besaßen vielleicht die Fähigkeit, Morde zu beschließen, von denen sie sich gleichzeitig einredeten, ihre Euphemismen seien die eigentliche Wahrheit.
    Carl sah ein, daß das ihn selbst nicht entschuldigte. Er war jedesmal zurückgekehrt und wieder ins Glied getreten, bereit für den nächsten Auftrag. Er hätte aufhören, hätte sich weigern können.
    Im Augenblick war die Situation jedoch nicht sonderlich problematisch. Wenn sich das Ziel einnehmen ließ, würden sie es tun. Es handelte sich um eine gewöhnliche militärische Operation aus ungewöhnlich guten Gründen. Und es lag keine Heuchelei in dem Trost, daß es diesmal darum ging, um den Preis einer kleinen Zahl eine große Zahl von Menschenleben zu retten.
    Auch wenn dieses Erklärungsmodell nicht immer selbstverständlich gewesen war. Nach einer vollkommen logischen Kostenrechnung konnte man behaupten, daß die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hunderttausend Menschenleben mehr gerettet hatten, als sie kosteten. Wenn der Krieg im Pazifik nämlich ohne Atombomben geführt worden wäre, wären die japanischen Inseln vermutlich Schritt für Schritt erobert worden, bis es am Ende zu einer riesigen Invasion gekommen wäre. Der Preis an konventionellen Toten wäre auf beiden Seiten unglaublich hoch gewesen.
    Trotzdem lag etwas Krankhaftes in der Argumentation, die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki hätten Menschenleben geschont.
    Wenn sie am Ziel einen kleinen Wachtrupp hatten, wie zu vermuten stand, wäre es wahrscheinlich undenkbar, das Ziel einzunehmen, ohne die Wachen unschädlich zu machen. Carl konnte sich jedoch nicht vorstellen, daß Mouna in vollem Ernst sich auf ihre palästinensische Chef-Funktion berufen und eine solche Maßnahme verbieten würde. Möglicherweise würde sie gerade diese Aufgabe den beiden anwesenden Nicht-Arabern übertragen. Sie würden einfach abwarten müssen, wie es bei der Ankunft aussah. Danach würden die Entscheidungen sich wohl von selbst ergeben.
    Er redete sich ein, daß jede der rollenden Bewegungen auf dieser Reise, die ihn an ein Schiff auf hoher See denken ließen, ihn einem neuen Leben in Kalifornien ein Stück näher brachte, einem Leben, zu dem keine Waffen mehr gehören würden.
    Mouna war früher schon geritten, auch wenn es lange her war. Nach einer Stunde gelang es ihr allmählich, in den Rhythmus hineinzukommen. Man mußte entspannt sitzen, so daß man nicht eine Menge Kraft darauf vergeudete, sich festzuklammern und die Bewegungen zu parieren.
    Sie hatte zunächst geglaubt, daß Carl scherzte, als er voller Begeisterung vorschlug, sie sollten sich ihrem Ziel per Karawane nähern. Das würde die Zeit bis dorthin nicht nur vervierfachen, sondern sie beim Rückzug überdies sehr viel verwundbarer machen.
    Carls Argumente hatten jedoch schnell die Oberhand gewonnen, und sie selbst hatte schon bei Punkt eins nachgegeben: Wenn die amerikanischen Spionagesatelliten eine Gruppe von Halftrucks von Sarra losfahren sahen, würde Washington sofort wissen, worum es ging. Wie sehr man auch zu manövrieren versuchte, beispielsweise dadurch, daß man erst am Ziel vorbeifuhr und dann überraschend zurückkehrte, würden die Amerikaner das Ziel finden, bevor sie selbst dort waren. Und wenn sie schon in Bereitschaft standen, ihre Bomber einzusetzen – und wie sollte man etwas anderes glauben können? –, konnten sie das Ziel erreichen und eine

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