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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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töten sehen. Er war ohne Zweifel ein Meister in dieser Kunst. Was er tat, sah selbstverständlich und einfach aus, doch sie wußte aus eigener Erfahrung, daß es nicht so war. Er zögerte nicht. Bei ihm gab es nicht den mindesten Anflug des kleinen Verzögerns, das sie selbst vor einem entscheidenden Schritt spürte.
    Und jetzt hatte sie ausdrücklich Befehl, diesen Mann zu zügeln, ja ihn sogar zu erschießen, wenn er die gegebenen Anweisungen nicht befolgte.
    Sie lachte plötzlich laut auf. Ihr war plötzlich der Gedanke gekommen, daß Carl ein höchst erstauntes Gesicht machen würde, wenn sie ihn erschoß. Natürlich erwartete er das in keinem Augenblick.
    Sie auch nicht. Es war ein absurder Gedanke. Sie waren beide Militärs und wußten beide sehr wohl, daß das Problem nicht in der Entscheidung bestand, zu töten oder nicht zu töten, sondern nur darin, ob das Ziel mit annehmbaren Verlusten einzunehmen war oder nicht.
    Sie war aus Carl nie so recht schlau geworden, hatte es nie geschafft, richtig vertraut und persönlich mit ihm zu werden. Sie vermutete, daß es eher an ihm als an ihr lag. Er war ja nicht nur ein Vollblutmörder. Er war auch das Urbild eines europäischen Gentleman. So hatte er beispielsweise nie auch nur den geringsten Anflug von Erstaunen oder Bestürzung gezeigt, weil sie einen höheren militärischen Rang hatte als er. Vermutlich war das etwas Schwedisches. Bei näherem Nachdenken erkannte sie, daß ein britischer Major wohl gezögert hätte, vor einem weiblichen palästinensischen Oberstleutnant Haltung anzunehmen.
    Und zu diesem Mörder war sie vor nicht allzu langer Zeit im Dunkeln hinaufgeklettert, um sofort niedergeschlagen und entwaffnet zu werden. Ebensogut hätte sie in eine Löwengrube springen können.
    Diesen Vergleich hatte sie im Scherz geäußert, als sie später in der Nacht zusammen aßen und sich unterhielten. Sie hatte etwas von Daniel in der Löwengrube gesagt. Er hatte erwidert, das sei wohl so. Sie stehe unter Gottes Schutz. Dann hatte er sachlicher erklärt, daß es dumm gewesen wäre, den Eindringling zu töten, wenn es sich nur um einen gewöhnlichen Dieb gehandelt hätte. Wie zum Teufel hätte er das an der Rezeption erklären sollen?
    Irgendwann hatte sie von einer Liebesgeschichte mit Carl phantasiert. Sie fragte sich, ob er es sich nicht auch hatte vorstellen müssen. Doch als sie sich kennenlernten, hatte sie die gleiche Einstellung wie Abu Ammar. Sie war »mit der palästinensischen Revolution verheiratet« und würde ihr Leben nur ihr weihen und nichts anderem.
    Dann hatte sie trotzdem geheiratet, einen ihrer vorgesetzten Ärzte. Sie hatte schließlich zwei Identitäten, die der Krankenschwester, einer Untergebenen, und die des Nachrichtendienstoffiziers, eines Vorgesetzten, der ein Cover brauchte, einen zivilen Beruf, hinter dem er sich verbergen konnte.
    Ihre Trauer war so gut wie ausgetrocknet. Das meiste war verschwunden, und inzwischen war sie zu dieser Einstellung zurückgekehrt, von der Abu Ammar ständig gesprochen hatte (jedenfalls seit seiner überraschenden Heirat), und jetzt ritt sie hier, mit jeder Minute einer großen Entscheidung näherrückend.
    Die Morgendämmerung setzte ein. Die Dunkelheit wurde zu einem hellen Grau. Sie hielten jetzt direkt auf eine kleine Felsenformation zu, die zunächst den Eindruck erweckt hatte, als wären die Berge so hoch und spitz wie in den Alpen. Die Felsen lagen jedoch nicht am Horizont, wie sich schnell herausstellte, sondern nur ein paar hundert Meter weiter weg. Es war eine kleine Alpenlandschaft en miniature inmitten des Sandmeers. Sie ritten das letzte Stück hinauf, und als sie die Klippen erreicht hatten, sahen sie, wie die Landschaft danach ihren Charakter änderte. Sie hatten das große Sandmeer hinter sich, und bei der nächsten Etappe würden sie durch Felswüsten und Berge reiten.
    Die Tiere gingen brüllend in die Knie, und die Reiter sprangen mit höchst unterschiedlicher Geschmeidigkeit oder unter schmerzerfüllten Grimassen auf den Boden. Das löste einige scherzhafte Bemerkungen aus. Drei Männer gingen abseits und behandelten sich mit verschiedenen Medikamenten, während die übrigen mit schnellen und geübten Griffen etwas aufbauten, was aus der Luft genauso aussehen mußte wie das, was es war: ein Beduinenlager.
    Samuel Ulfsson hatte zwei Tage lang unter hartem Druck aus zwei verschiedenen Richtungen gestanden, die letztlich, wie er spürte, das gleiche von ihm wollten. Der

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