Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
als meinen Selbstgenuß. Darin aber gleicht die letztere in der Tat – und Wir wollen ihr diese »Schmach« nicht ersparen! – der tierischen Kritik des Instinktes. Mir ist es, wie dem kritisierenden Tiere, nur um Mich , nicht »um die Sache« zu tun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich aber bin keine Idee, sondern mehr als Idee, d. h. unaussprechlich. Meine Kritik ist keine »freie«, nicht frei von Mir, und keine »dienstbare«, nicht im Dienste einer Idee, sondern eine eigene.
Die wahre oder menschliche Kritik bringt nur heraus, ob etwas dem Menschen, dem wahren Menschen konveniere ; durch die eigene Kritik aber ermittelst Du, ob es Dir konveniert.
Die freie Kritik beschäftigt sich mit Ideen , und ist deshalb stets theoretisch. Wie sie auch gegen die Ideen wüten möge, so kommt sie doch von ihnen nicht los. Sie schlägt sich mit den Gespenstern herum, aber sie kann dies nur, indem sie dieselben für Gespenster hält. Die Ideen, mit denen sie's zu tun hat, verschwinden nicht völlig: der Morgenhauch eines neuen Tages verscheucht sie nicht.
Der Kritiker kann zwar zur Ataraxie gegen die Ideen kommen, aber er wird sie niemals los , d. h. er wird nie begreifen, daß nicht über dem leibhaftigen Menschen etwas Höheres existiere, nämlich seine Menschlichkeit, die Freiheit usw. Es bleibt ihm immer noch ein »Beruf« des Menschen übrig, die »Menschlichkeit«. Und diese Idee der Menschlichkeit bleibt unrealisiert, weil sie eben »Idee« bleibt und bleiben soll.
Fasse Ich dagegen die Idee als meine Idee, so ist sie bereits realisiert, weil Ich ihre Realität bin: ihre Realität besteht darin, daß Ich, der Leibhaftige, sie habe.
Man sagt, in der Weltgeschichte realisiere sich die Idee der Freiheit. Umgekehrt, diese Idee ist reell, sowie ein Mensch sie denkt, und sie ist in dem Maße reell als sie Idee ist, d. h. als Ich sie denke oder habe . Nicht die Idee der Freiheit entwickelt sich, sondern die Menschen entwickeln sich und entwickeln in dieser Selbstentwicklung natürlich auch ihr Denken.
Kurz der Kritiker ist noch nicht Eigner , weil er mit den Ideen noch als mit mächtigen Fremden kämpft, wie der Christ nicht Eigner seiner »schlechten Begierden« ist, solange er sie zu bekämpfen hat: wer gegen das Laster streitet, für den existiert das Laster.
Die Kritik bleibt in der »Freiheit des Erkennens«, der Geistesfreiheit, stecken, und der Geist gewinnt seine rechte Freiheit dann, wenn er sich mit der reinen, der wahren Idee erfüllt; das ist die Denkfreiheit, die nicht ohne Gedanken sein kann.
Es schlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere, z. B. die des Privilegiums durch die der Menschheit, oder die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.
Überhaupt tritt der Anfang des Christentums in seinem kritischen Ende wieder auf, indem hier wie dort der »Egoismus« bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen, sondern die Idee, das Allgemeine, soll Ich zur Geltung bringen.
Krieg des Pfaffentums mit dem Egoismus ,der geistlich Gesinnten mit den weltlich Gesinnten macht ja den Inhalt der ganzen christlichen Geschichte aus. In der neuesten Kritik wird dieser Krieg nur allumfassend, der Fanatismus vollständig. Freilich kann er auch so erst, nachdem er sich ausgelebt und ausgewütet hat, vergehen.
Ob, was Ich denke und tue, christlich sei, was kümmert's Mich? Ob es menschlich, liberal, human, ob unmenschlich, illiberal, inhuman, was frag' Ich darnach? Wenn es nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin befriedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es gilt Mir gleich.
Auch Ich wehre Mich vielleicht schon im nächsten Augenblicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl plötzlich meine Handlungsweise; aber nicht darum, weil sie der Christlichkeit nicht entspricht, nicht darum, weil sie gegen die ewigen Menschenrechte läuft, nicht darum, weil sie der Idee der Menschheit, Menschlichkeit und Humanität ins Gesicht schlägt, sondern – weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil sie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem früheren Gedanken zweifle oder in der eben geübten Handlungsweise Mir nicht mehr gefalle.
Wie die Welt als Eigentum zu einem Material geworden ist, mit welchem Ich anfange, was Ich will, so muß auch der Geist als Eigentum zu einem Material herabsinken, vor dem Ich keine heilige Scheu mehr trage. Zunächst werde Ich dann nicht ferner vor einem Gedanken schaudern, er erscheine so verwegen und »teuflisch« als er wolle, weil, wenn er
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