Der Einzige und sein Eigentum (German Edition)
seiner Ehre aber ist man am wenigsten sicher, und die Nationalkokarde fliegt im Umsehen davon. Die derbe Faust der Sittlichkeit geht gar unbarmherzig mit dem edlen Wesen des Egoismus um.
»Aber man kann doch nicht einen Schurken und einen ehrlichen Mann auf gleiche Linie stellen!« Nun, kein Mensch tut das öfter als Ihr Sittenrichter, ja noch mehr als das, einen ehrlichen Mann, der offen gegen die bestehende Staatsverfassung, gegen die geheiligten Institutionen usw. redet, den sperrt Ihr ein als Verbrecher, und einem verschmitzten Schurken überlaßt Ihr Portefeuille und noch wichtigere Dinge. Also in praxi habt Ihr Mir nichts vorzuwerfen. »Aber in der Theorie!« Nun, da stelle ich beide in der Tat auf eine Linie als zwei entgegengesetzte Pole: beide nämlich auf die Linie des Sittengesetzes. Sie haben beide nur Sinn in der »sittlichen« Welt, gerade so, wie in der vorchristlichen Zeit ein gesetzlicher Jude und ein ungesetzlicher nur Sinn und Bedeutung hatten in Bezug auf das jüdische Gesetz, dagegen vor Christus der Pharisäer nicht mehr war, als die »Sünder und Zöllner«. So gilt auch vor der Eigenheit der sittliche Pharisäer so viel, als der unsittliche Sünder.
Nero wurde durch seine Besessenheit sehr unbequem. Ihm würde aber ein eigener Mensch nicht alberner Weise das »Heilige« entgegensetzen, um zu jammern, wenn der Tyrann des Heiligen nicht achtet, sondern seinen Willen. Wie oft wird die Heiligkeit der unveräußerlichen Menschenrechte den Feinden derselben vorgehalten und irgend eine Freiheit als ein »heiliges Menschenrecht« erwiesen und vordemonstriert. Die das tun, verdienen ausgelacht zu werden, wie's ihnen wirklich geschieht, wenn sie nicht eigentlich doch, sei's auch unbewußt, den zum Ziele führenden Weg einschlügen. Sie ahnen es, daß, wenn nur erst die Mehrzahl für jene Freiheit gewonnen ist, sie auch dieselbe wollen und dann nehmen wird, was sie haben will . Die Heiligkeit der Freiheit und alle möglichen Beweise dieser Heiligkeit werden sie niemals verschaffen: das Lamentieren und Petitionieren zeigt eben nur Bettler.
Der Sittliche ist notwendig darin borniert, daß er keinen andern Feind kennt als den »Unsittlichen«. »Wer nicht sittlich ist der ist unsittlich!«, mithin verworfen, verächtlich usw. Darum kann der Sittliche niemals den Egoisten verstehen. Ist nicht unehelicher Beischlaf eine Unsittlichkeit? Der Sittliche mag sich drehen, wie er will, er wird bei diesem Ausspruch bleiben müssen; Emilia Galotti ließ für diese sittliche Wahrheit ihr Leben. Und es ist wahr, es ist eine Unsittlichkeit. Ein tugendhaftes Mädchen mag eine alte Jungfer werden; ein tugendhafter Mann mag die Zeit damit hinbringen, sich mit seinen Naturtrieben herumzuschlagen, bis er sie vielleicht verdumpft hat, er mag sich um der Tugend willen verschneiden, wie der heilige Origenes um des Himmels willen: er ehrt die heilige Ehe, die heilige Keuschheit dadurch als unverletzlich, er ist – sittlich. Unkeuschheit kann nie zu einer sittlichen Tat werden. Mag der Sittliche den, der sie beging, auch noch so nachsichtig beurteilen und entschuldigen, ein Vergehen, eine Sünde wider ein sittliches Gebot bleibt sie, es haftet daran ein unauslöschlicher Makel. Wie die Keuschheit einst zum Ordensgelübde, so gehört sie zu sittlichem Wandel. Keuschheit ist ein – Gut. – Dagegen für den Egoisten ist eben auch Keuschheit kein Gut, darohne er nicht auskommen könnte: es ist ihm nichts daran gelegen. Was folgt nun für das Urteil des Sittlichen hieraus? Dies, daß er den Egoisten in die einzige Klasse von Menschen wirft, die er außer den sittlichen Menschen kennt, in die der – Unsittlichen. Er kann nicht anders, er muß den Egoisten in allem, worin dieser die Sittlichkeit nicht achtet, unsittlich finden. Fände er ihn nicht so, so wäre er eben schon der Sittlichkeit abtrünnig geworden, ohne sich's zu gestehen, er wäre schon kein wahrhaft sittlicher Mensch mehr. Man sollte sich doch durch solche Erscheinungen, die heutigen Tages allerdings nicht mehr zu den seltenen gehören, nicht irreführen lassen, und bedenken, daß, wer der Sittlichkeit etwas vergibt, so wenig zu den wahrhaft Sittlichen gezählt werden kann, als Lessing, der in der bekannten Parabel die christliche Religion, so gut als die mohammedanische und jüdische, einem »unechten Ringe« vergleicht, ein frommer Christ war. Oft sind die Leute schon weiter, als sie sich's zu gestehen getrauen. – Für Sokrates wäre es, weil er auf der
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