Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
schließlich hinein in die Masse der anderen, stumm, grau, aber mit verbissenen Gesichtern.
    Irma und Heinz hatten es leichter. Mit aller Geschicklichkeit und Gerissenheit von Berliner Kindern schoben sie sich durch die Menge, drängelten und schimpften, daß sie gedrängelt würden, riefen nach einer verlorenen Mutti, deren Hut sie ganz vorne sahen, schlüpften lachend unter dem Arm eines Ordners durch – und landeten atemlos, völlig zerknautscht, aber mächtig aufgekratzt beim Bismarckdenkmal. Irgendwoher, weit her, hörten sie eine Stimme schreiend sprechen.
    Einen Augenblick später waren sie auf dem Denkmal. Ein paar Meter über den Köpfen des Volkes saß Irma auf der runden Weltkugel, indes Heinz einem bronzenen Weibe auf der Schulter balancierte und sich eben an dieser Weltkugel festhielt.
    Und wie stets, wenn sich jemand selbst erhöhet, waren die niederen damit einverstanden. Beifällig nickten sie.
    »Dufte, der Junge!« – »Die Kleene is ooch richtig!« – »Erfrier dir bloß den Hintern nich, Mächen, du sitzt jrade auf dem Nordpol!« – »Sie da, Jüngling, treten Sie die Dame nich uff de Brust – so wat tut kein feiner Mann!«
    Und: »Nun sacht uns bloß, wer redt denn? Is es Liebknecht?«
    »Ich glaube, Scheidemann«, sagte Heinz aufs Geratewohl.
    Aber es war nicht Scheidemann, es war ein ziemlich fetter,dunkler Herr, der dort auf den Stufen des Reichstagsgebäudes stand und schreiend Sätze über die Köpfe der Menge hin schleuderte. Das Volk stand ruhig, lauschend oder nicht lauschend, es stand geduldig, wie es immer gestanden hatte, fand Heinz.
    Wenn man durchaus einen Unterschied gegen früher feststellen wollte, so war es der, entdeckte Heinz, daß der Herr, der da oben sprach, Zivil trug, nämlich einen schwarzen Bratenrock und graugestreifte Hosen. Auch hielt er einen steifen schwarzen Hut in der Hand – mit dem machte er manchmal eine Geste, unterstrich einen Satz.
    Früher hatten nur immer Uniformen zum Volk geredet. Den Kaiser hatte man nur in Uniform gesehen, und selbst ein so unmilitärischer Mann wie der philosophische Kanzler von Bethmann-Hollweg hatte fast stets Uniform getragen.
    Es war ein sehr kleiner Unterschied, selbst einem unerfahrenen Pennäler wie Heinz fiel das auf. Denn ganz fehlten auch hier die Uniformen nicht: Vier Stufen tiefer als der Redner standen auf der Treppe des Reichstages Soldaten, feldgraue Soldaten mit Stahlhelm und geschultertem Gewehr sowie mit reichlich Handgranaten am Koppel. Sie waren ein Zaun zwischen dem Redner und seinem Volk, jenem Volk, dessen Sieg der Redner eben feierte …
    So hoch, wie Heinz und Irma jetzt standen, war ganz gut zu verstehen, was der Redner eben schrie …
    Der Redner sprach vom Siege des Volkes, vom Sieg des Sozialismus: »Hüten wir uns, die reine Sache des Volkes zu beschmutzen …!«
    Er konnte nicht weitersprechen. Ein Knattern wurde laut, leise erst, dann immer lauter … In die Menge kam Bewegung, in der Ferne wurden Schreie laut … die näher kamen. Die Köpfe bewegten sich, duckten sich, es war, wie wenn Wind in ein Ährenfeld fährt …
    Das Knattern ging laut immer fort. Nun wurde geschrien …
    »Die schießen auf uns!« – »Maschinengewehre!« – »Die Liebknecht-Leute sind es!« – »Spartakisten!« – »Mörder …«
    Und immer lauter: »Lauft!« – »Rette sich, wer kann!« – »Wir lassen uns nicht niederschießen! Hilfe! Hilfe!!«
    Der Redner oben hatte zu reden aufgehört. Er sah nach dem Geknatter hin, machte eine Geste – und trat zwischen die Säulen des Portals …
    Die Soldaten griffen nach den Handgranaten in ihren Gürteln …
    »Die schießen!« flüsterte Irma mit ganz weißen Lippen. »Hilf mir rasch runter … Heinz! Heinz!!«
    »Ich sehe nichts«, sagte Heinz. Er spähte nach dem Rand der Versammlung, der dünn wurde. Er sah Menschen laufen, sah das graue Verdeck eines Autos …
    »Mach zu! Hilf mir! Ich lasse mich nicht totschießen!«
    Sie ließ sich in seine Arme gleiten, so plötzlich, daß er ins Wanken kam. Halb rutschten sie, halb fielen sie in die Menge hinunter, die wild strudelte, schrie, in Auflösung war …
    »Los! Los! Lauf doch! Heinz, faß mich an!«
    Plötzlich liefen alle. Sie liefen für ihr Leben, manche stumm, manche laut schreiend, manche vor sich hin weinend, Männer, Frauen, Kinder … Viele fielen, manche wurden hochgerissen, über andere liefen die Füße der Flüchtenden fort, keiner achtete auf ihr Geschrei …
    Das Geknatter schien noch stärker geworden

Weitere Kostenlose Bücher