Der eiserne Gustav
Wege von einem Bahnhof zum anderen, nur auf der Durchfahrt in Berlin … Sie gingen eng aneinandergedrückt, ohne nach dem Lastauto mit den Matrosen zu sehen, als hätten sie ein schlechtes Gewissen …
Aber nun kam aus der Zugspitze ein junger Mann ihnen schräg entgegen, ein junger, recht schneidig aussehender Mann in Knickerbockers mit seidig glänzendem Waffenrock, sicher so etwas wie ein Offizier, aber ganz ohne Abzeichen und Orden, nur mit einer roten Armbinde.
Und als Heinz diesen jungen Menschen mit dem blassen, hübschen, ein wenig frechen Gesicht gerade auf die drei Unteroffiziere zugehen sieht, packt er Irma am Arm, zwingt sie stehenzubleiben und flüstert aufgeregt: »Da! – Erich!«
»Wer? Was? Erich? Was für ’n Erich?«
»Mein Bruder Erich – und wir denken, der Junge ist noch draußen!«
Mit vielen anderen drängen Irma und Heinz zu der kleinen Gruppe, vor der der junge Mann stehengeblieben ist. Von dem fahrenden Lastauto springen zwei Matrosen und gehen, Maschinenpistolen in ihren Händen, mit weiten, wehenden Hosen, ein wenig schaukelnd, auf die immer größer werdende Gruppe zu.
Der junge Mann in schneidigem Feldgrau, Erich Hackendahl also, tippt dem vordersten Unteroffizier mit einer Fingerspitze auf die Achselklappe … »Das nehmen wir lieber ab, Kamerad, wie?« sagt er halblaut. »Das Dings da! So was gibt es nicht mehr …«
Der Unteroffizier sieht zögernd zu dem jungen Mann auf. Er erkennt ja wohl, daß dies ein Offizier ist oder doch war,er sagt bittend, stockend: »Wir fahren ja gleich weiter – vom Anhalter. Man möcht’s doch nach Haus bringen … Ich hab’s mir ehrlich im Feld verdient, Kamerad …«
Aber er hat sich in dem jungen Manne getäuscht. Der junge Mann ist nicht so nett und hübsch, wie er aussieht.
Erich Hackendahl faßt ganz plötzlich, rechts und links, mit beiden Händen um die Achselklappen. Er reißt mit solcher Gewalt an ihnen, daß die Nähte platzen, daß der Mann taumelt, und dabei schreit er: »Den Dreck gibt es nicht mehr! Vorgesetzte gibt es nicht mehr!! Verdienste gibt es nicht mehr! Militaristen gibt es nicht mehr!!« Und bei jedem »Nicht mehr« gibt er dem Mann einen neuen harten Stoß.
Abseits, längst als Untätige aus dem Strudel gedrückt, stehen Heinz und Irma.
»Vielleicht muß es sein?« sagt Heinz finster. »Wenn alle gleich sind …? Es sieht elend aus. Und daß gerade Erich dabeisein muß!«
»Kannst du ihm denn nichts sagen?« drängte Irma. »Wo er doch dein Bruder ist!«
»Ich will es versuchen!« sagte Heinz und machte ein paar Schritte auf den Strudel zu.
Doch da löste sich der Tumult gerade. Einige fingen an zu laufen, um den Demonstrationszug wieder zu erreichen, andere gingen plötzlich in Nebenstraßen.
»Erich!« rief Heinz den Bruder jetzt an, der zwischen den beiden Matrosen einherkam.
Erich fuhr herum und starrte Heinz an. Erst lag ein abweisender Zug auf seinem Gesicht, da hatte er ihn noch nicht erkannt. Dann wurde sein Gesicht dunkelrot, da wußte er, daß es der Bruder war, der Bruder, gerade in diesem Augenblick …
»Du, Bubi?« fragte er langsam. »Was machst du denn hier?«
»Und was machst du hier?« fragte Bubi trotzig dagegen.
»Das ist doch ein armes Frontschwein!« rief Heinz wütend. »Muß der in der Heimat Dresche kriegen?«
»Dein Brüderchen, Hackendahl?« fragte ein Matrose spöttisch.
Heinz schrie fast: »Ich hasse die Gewalt …!«
»Das habe ich auch immer gesagt«, lachte der Matrose ungerührt, »wenn ich von meinem Vater Senge kriegte. Wer nicht hören will, muß fühlen.«
»Also wie ist es, Hackendahl?« fragte der andere Matrose. »Schloß oder Reichstag? Aber sag uns die Wahrheit – deine Scheidemänner wollen wir nicht hören!«
»Reichstag!« sagte Hackendahl bestimmt. »Liebknecht spricht am Reichstag!«
»Es geht dir dreckig, alter Junge«, drohte der Matrose, »wenn du uns verkohlst!«
»Weiß ich! Reichstag!« sagte Erich bestimmt.
»Also los!« rief der andere Matrose, und beide liefen auf die Fahrbahn, sprangen auf das Trittbrett eines vorüberfahrenden Autos, riefen dem Chauffeur etwas zu, und schon fuhren sie dem Zug nach. Widerwillig mußte Heinz zugestehen, daß er noch nie so unbekümmerte Männer gesehen hatte.
Erich schien aufzuatmen. »Die werden sich wundern!« grinste er plötzlich. »Liebknecht redet nämlich doch am Schloß!«
»Und du schickst sie zum Reichstag?«
»Natürlich – Liebknecht ist nämlich eine Art Konkurrenz von uns. Und den Leuten
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