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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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    Die Panik hatte alle erfaßt, ohne nachzudenken, liefen sie, liefen von dem Redner fort, den Fahnen fort, die zertreten am Boden lagen, fort von den zerbrochenen Plakaten mit der Inschrift: »Friede! Freiheit! Brot!«
    Heinz und Irma liefen zwischen den anderen. Sie waren jung, sie hatten lange Beine, sie liefen gut. Sie liefen nebeneinander, Hand in Hand; längst waren sie vom Platz, liefen durch Straßen, durch andere Straßen …
    »Lauf!«
    »Kannst du noch?«
    »Immer los! Lauf!«
    Plötzlich wurde es ihnen bewußt: Sie liefen allein.
    Sie liefen in einer breiten Straße, in der Mitte war einGrünstreifen, rechts und links von ihm Fahrbahnen. Sie liefen auf dem Grünstreifen …
    Plötzlich hörten sie vor sich das Geräusch von Schüssen, nah, ganz nah. Das ganze Stadtviertel schien in Aufruhr.
    Heinz versuchte sich zu besinnen. Wir laufen ja direkt in die Schießerei, dachte er. Er sah einen offenen Torweg. »Komm!« rief er. Und sie liefen Hand in Hand hinein in die Geborgenheit, in den Schutz.
    Lange standen sie dort stumm, sie wischten mit zitternden Händen an ihren schweißigen Gesichtern herum. Dabei lauschten sie auf das Schießen, das immer wieder aufflackerte, nah und ferne. Einmal glaubten sie auch das schnelle böse Tacken eines Maschinengewehrs zu hören …
    Aber langsam ging ihr Atem ruhiger, klopfte ihr Herz nicht mehr so sehr. Hier in der Geborgenheit des Torwegs, allein miteinander, fühlten sie das gute, das köstliche Leben … Die Schüsse knatterten …
    »Na, Irma!« sagte Heinz und versuchte ihren Kopf zu heben.
    Plötzlich merkte er, daß sie lautlos in ihr Taschentuch weinte.
    »Wir sind schöne Angsthasen! Was wir gelaufen sind!«
    »Sei doch still!« rief sie wütend. »Du Feigling!«
    »Na, Irma!« sagte er ganz verblüfft über diesen ersten, völlig unverständlichen Ausbruch des Weibes in seiner Freundin. Denn sie hatte ja das Laufen gewollt. »Beruhige dich, Tochter der Quaasin! Helden waren wir alle beide nicht …!«
    »Bist du ruhig!« schrie sie noch einmal und stampfte mit dem Fuß auf. Sie hatte völlig die Herrschaft über sich verloren. Alles in ihr zitterte noch – unerträglich war ihr die spöttische, gutmütig tröstende Stimme des Freundes. Und als er nun gar den Versuch machte, ihr scherzhaft das Taschentuch fortzuziehen, schlug sie zu, schlug ihm mit der Hand gerade ins Gesicht …
    »Na, Irma!« sagte er zum drittenmal. »Was soll denn das! Bei dir Dachstuhlbrand, wie?!«
    Aber er war jetzt schwer gekränkt, er stellte sich auf die andere Seite des Torwegs und sah nur manchmal, eine tiefe Grübelfalte zwischen den Brauen, zu seiner kleinen Freundin hinüber, die jetzt noch viel fassungsloser weinte …
    »Na, ihr zwei kleinen Hübschen!« klang eine spöttische Stimme von der Straße her. »Was habt ihr euch denn hier verkrochen? Kommt mal her, ihr beide!«
    In der Einfahrt stand ein Matrose, ein kleiner, dunkler Mensch mit einem frechen, bösen Gesicht, eine Pistole in der Hand …
    »Na, wird’s bald?« rief er grob, als die beiden zögerten. »Die Hände hoch, Bengel! Du hast doch eben geschossen, du Aas!«
    »Ich habe nicht geschossen! Ich habe gar nichts zum Schießen!« sagte Heinz trotzig und trat auf den Matrosen zu. »Sehen Sie doch nach!«
    »Riskier du noch ’nen Ton!« sagte der Matrose drohend. Und mit geübten, raschen Händen tastete er den Jungen ab.
    »Komm du jetzt her, Kleine!« rief er dann. »Dir hat er natürlich die Pistole zugesteckt, so ein Scheißkerl ist das!«
    Sie standen nun beide vor dem kleinen, bösen Menschen, sehr blaß, aber beide sehr bemüht, sich nichts von ihrer Angst merken zu lassen …
    »Er hat wirklich keine Waffe, Herr – Matrose«, sagte Irma entschlossen. »Wir waren bloß in der Versammlung am Reichstag …«
    »Ach!« sagte der Matrose spöttisch gedehnt. »Bei den Scheidemännern wart ihr – ihr Helden! Und bis hierher seid ihr gelaufen – ihr Scheißemänner!«
    Er sah die beiden verächtlich an.
    »Wir sind beschossen worden«, sagte Heinz trotzig.
    »Ja, beschissen seid ihr worden«, lachte der Matrose spöttisch. »Der Auspuff von einem Auto hat ein bißchen geknattert – und schon laufen zwanzigtausend Menschen wie die Hasen.«
    Und verächtlich sah er die beiden an, die immer röter wurden.
    »Aber jetzt wird hier doch geschossen«, beharrte Heinz. »Sie haben doch auch ’ne Pistole.«
    »Ach, das bißchen Knallerei! Das sollt ihr sehen, wie schnell ich da Ruhe reinkriege!«
    Er sah auf Irma.

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