Der eiserne Gustav
was die Frau für ihnkochen und wie sie hinkommen soll mit dem Geld! Manchmal gibst du mir drei Tage nichts – und dann hätten wir doch unser Festes!«
Er antwortete nicht, aber Mutter redete weiter, klagte weiter. Wenn sie ihn sah, wenn er nur zwei Mark ablieferte statt fünf, wenn er seine Ruhe haben wollte, immerzu ging das: »Da könnte man nun sein Festes haben, aber er will nicht! Er wird immer dickköpfiger, je älter er wird. Er tut’s einfach nicht. Auf mich hat er nie gehört, am liebsten hätte er mir gar nichts von der Sache gesagt …«
So ging es unaufhörlich, ob sie nun aßen, ob er schlafen wollte … Er konnte noch zornig werden, o ja, das ging noch, überkochen, losbullern konnte er noch … Aber was half das? Man kann mit bald siebzig nicht jede Stunde lostoben, nicht einmal jeden Tag. Und Mutter war zäh, sie konnte immerzu klagen; noch wenn sie schlief, ging ihr Atem wie ein anklagendes Ächzen … Was Festes, was Festes, was Festes …, schien sie zu schnarchen.
Immerhin dauerte es fast vier Wochen, bis der eiserne Gustav nachgab und zu der Oberin Sophie ging.
»Mutter will ja partuh! Det hättste nich machen solln und zu Muttern jehn, det war ’ne Sache zwischen uns.«
Aber die Oberin war an diesem Morgen sehr beschäftigt. Außerdem war alles schon vorbereitet. Es ärgerte ihn sehr, wie sicher Sophie mit seiner Zusage gerechnet hatte. Er bekam einen Zettel. Da und da einen Halb-Landauer ansehen, dort einen Plattenwagen … Einen neuen blauen Mantel anmessen lassen. Schuhe … Es war alles bedacht und so bedacht, daß er keinen Widerspruch erheben konnte … Sogar der Schneider schien Bescheid zu wissen. »Versteht sich, Herr Hackendahl, etwa wie Ihr alter Mantel – natürlich. Frau Oberin hat mir schon Weisungen gegeben.«
Und dann ging es los mit den Fuhren. Es war ja noch Winter, er konnte nicht einmal revoltieren, daß er keine Patienten zu fahren bekam. Es waren nur Gepäckfuhren, Lebensmittel, gegen Abend fuhr er Abfälle, Asche …
Als sie ihn das erste Mal am frühen Morgen dreißig gefüllte Uringläser zu einem Laboratorium fahren ließ, verlangte er die Frau Oberin zu sprechen. Aber natürlich war Frau Oberin im Operationssaal – unabkömmlich! Er solle nur schnell machen mit seinen Gläsern (Amseln sagten sie dafür), die Untersuchung sei eilig …
Also fuhr er. Da er der alte Hackendahl war, tröstete ei sich mit dem Gedanken, daß es schließlich schnuppe sei, ob er den Urin seiner Gäste in Glasflaschen oder natürlich aufbewahrt spazierenfahre …
Es is ja allens janz menschlich, Justav, tröstete er sich.
4
Manchmal, in den schönen Tagen auf der Insel Hiddensee, wollte den Heinz Hackendahl doch eine Unruhe überkommen, daß er hier in den Tag hinein lebte und fest darauf vertraute: Ich werde schon eine Stellung bekommen. Laßt mich nur erst wieder in Berlin sein!
Etwas wie Angst beschleicht ihn. Er läuft hier herum. Wenn sie zum 1. Juli nach Berlin heimkehren, haben Irma und er noch etwa anderthalb Monate zu leben. Und was dann? Es ist doch was unterwegs! Wird er eine Stellung bekommen? Ich gehe nie stempeln! Wir fressen uns immer durch! Und das Kind …?
Verdammt noch mal! Es ist doch eine komische Sache! Wenn er die Arbeitslosen, die es jetzt sogar hier auf der Insel gibt, herumstehen sieht, bekommt er doch wahrhaftig Angst, daß er keine Angst hat! Keine Lebensangst. »Bin ich leichtsinnig«, fragt er Tutti und Irma, »daß ich mir gar keine Gedanken wegen einer neuen Stellung mache? Was sollen wir tun, wenn ich keine neue Stellung bekomme?«
»Ach, das gibt es ja nicht!« ruft Tutti, die ihr ganzes Leben gearbeitet hat. »Wer arbeiten will, findet auch Arbeit! Die nichts finden, die wollen bloß nicht.«
Eigentlich denkt Heinz Hackendahl ähnlich, aber er sagt: »Es gibt jetzt zwei Millionen Arbeitslose, die können nicht alle faul sein.«
»Warum denn nicht?« widerspricht Tutti. »Die sind im Krieg und in der Inflation verbummelt! Kuck dir doch die jungen Bengels an, mit der Schiebermütze auf einem Ohr und mit der Zigarette im Maul – die wollen ja gar nicht arbeiten!«
»Also ihr meint nicht, daß ich mir Gedanken machen muß?« fragt er noch einmal. »Es ist nicht leichtsinnig von mir, daß ich hier sitze und nichts für eine neue Stelle tue?«
»I wo!«sagt Tutti wieder. »Verdirb dir bloß die schönen Urlaubstage hier nicht. Du wirst schon eine Stellung kriegen.«
Irma sagt gar nichts, Irma ist jetzt oft still. »Das kommt von meinem
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