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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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tut immer, was die Leute von ihm erwarten, oder wenigstens sind die Leute stets von dem begeistert, was er tut.
    Wenn er am Kölner Dom vorüberfährt, und sie starren alleauf ihn und erwarten, daß er etwas tut, was er wohl tut – was in aller Welt kann ein alter Droschkenkutscher wohl angesichts von Tausenden tun, wenn er am Kölner Dom vorüberfährt? Er sieht den Dom an, die Gaffer, wieder den Dom, wieder die erwartungsvollen Gaffer … Und steht auf und schwenkt den Lackzylinder, Mutters Milchpott, er schreit: »Hoch lebe der Kölner Dom!«
    Und alle jubeln, alle sind begeistert.
    Wenn aber eine reklametüchtige Eisenfabrik ihm feierlich für seinen Grasmus vier funkelnagelneue Hufeisen überreichen läßt, dann sieht er die Hufeisen an, den Grasmus, den Geschäftsführer im Bratenrock … Er schüttelt den Kopf: »Nee, nehmen Se die Dinger man wieder! Die passen Grasmussen nich. Der hat ’ne viel kleinere Schuhnummer!«
    Drückt die Eisen dem Geschäftsführer in die Hand und fährt los.
    Und wieder jubeln sie, wieder sind sie begeistert.
    Was sehen sie in ihm, daß sie so begeistert sind, daß sie in der Stadt wie auf dem Lande zusammenströmen, ihn durchaus sehen wollen, alles herrlich finden, was er tut? In immer tollere Empfänge sich hineinsteigern? Was bringt sie dazu?
    Nun gut, er ist ein sehr alter Mann, ein Siebziger, der etwas unternommen hat, was schon für einen Dreißiger, einen Vierziger nicht einfach ist.
    Aber das ist es nicht allein.
    Und er ist einer der letzten Droschkenkutscher, in ihm fährt noch einmal eine alte, absterbende Zeit durchs Land: Sie jubeln dem zu, was ihre Väter waren.
    Nun gut, aber auch das ist es nicht allein.
    Und nach einer langen Zeit von ewigem Haß, Zwietracht, Zorn fühlen sie gerade wieder ein freundlicheres Gefühl für den alten »Erbfeind« drüben, jenseits des Rheins. Wie ein Versöhnungsbote fährt er zu den Franzosen, ihrem Boten jubeln sie zu – aber auch das ist es nicht allein.
    Sondern es ist dies, daß sie sich selber in ihm grüßen, ihren eigenen Lebenswillen, ihre eigene unverwüstliche Lebenskraft.Dieser alte Mann, aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gekommen, hat unendlich viel durchgemacht. Man muß nur in sein Gesicht sehen, dieses faltige Gesicht wie ein scholliger Acker, Jahr um Jahr säte neue Enttäuschung, schlimmere Niederlage, bitteres Entbehren ein.
    Aber die Augen sind hell geblieben, der Mund findet immer noch ein Witzwort. Alles, was geschah, hat ihn nicht weich schlagen können, er ist wahrhaft der eiserne Gustav, er hat das Hoffen nicht verlernt. Wenn neunundneunzig Dinge mißlungen sind, kann das hundertste doch gelingen, wir fahren. Wir lachen – wir geben nie die Hoffnung auf. Wir können wohl einmal fallen, aber wir müssen nicht im Dreck liegenbleiben. Wir müssen uns darum nicht aufgeben, wir fahren doch weiter!
    Etwas von diesen Gedanken bewegt die Jubelnden, daß sie so sehr jubeln.
    Was aber bewegt den alten Mann, der, aus der Stille eines abseitigen, völlig privaten Lebens gekommen, sich plötzlich im Mittelpunkt der Teilnahme eines ganzen Volkes sieht?
    Nein, er verliert nicht den Kopf. Weder wird er größenwahnsinnig noch verschüchtert. Dazu ist er zu lebenspraktisch. Er war nie ein Träumer. Er sagt: »Jott, die Leute …!«
    Er versteht sie und ihre Begeisterung nicht; heimlich verfüttert er die Sträuße an Grasmus und seine Stallgefährtinnen, die Kühe; heimlich verhökert er die Geschenke, die Zigarren, die Weine, die Liköre, die Heringe, die Käse an seine Quartiergeber; nie vergißt er den Ansichtskartenverkauf. Es ist ihm zu oft schlecht gegangen, er sieht eine Möglichkeit, eine allerletzte, noch ein bißchen Geld für sich und Muttern zusammenzubringen, und er tut es. Man muß sich nicht genieren, aus einer Sache Geld zu schlagen, die den Leuten Spaß macht – er kommt gar nicht auf den Gedanken, sich zu genieren. (Und das eben gefällt den Leuten wieder.) Aber er ist nicht so begeistert wie sie. Er trägt ja die Last der Fahrt, und er ist wirklich alt. Je weiter er kommt, um so näher kommt er der Grenze, dem fremden Volk, der fremdenSprache – im geheimen ängstigt er sich. Aber darüber spricht er mit keinem Menschen, auch mit dem brandroten Grundeis nicht.
    Je begeisterter sie sind, um so unmöglicher kann er zurück. Er hat schon jetzt Heimweh nach Berlin. Seit seinen frühen Mannesjahren ist er nie mehr aus der Stadt gekommen. Die Berliner, wie sie denken und sprechen, die Straßen und

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