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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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und Mißgunst der lieben vorgesetzten Kollegen erwarten konnte!
    Darum hätte er gut nach Haus gehen können.
    Aber er konnte eben doch nicht, er war zu ruhelos. Er rannte hin und her in dem riesigen Haus, er verlor sich in dunklen, verlassenen Stuben, und er störte die Nachtredakteure, bis sie mit Tintenlöschern nach ihm warfen. Er stand in der Setzerei herum und hinderte alle und war bei der großen Rotationsmaschine im Wege, die nun schon sauste und klapperte beim Druck der Morgenzeitungen, jener Morgenzeitungen, die seinen ersten großen eigenen Artikel den Berlinern zum Kaffee servieren würden. Den ersten Artikel, der mit seinem Namen gezeichnet war – Grundeis stand darunter.
    Fürwahr, es sah trefflich aus: Grundeis stand darunter.
    »Haben Sie das gelesen?« fragte er den Meister lässig.
    »Stehen Sie hier nicht länger rum, Herr Grundeis!« schrie der Meister. »Lesen – was Sie sonst woll noch alles für Ihren Drecklohn verlangen! Lesen sollen wir den Mist auch noch – es ist doch wahrhaftig genug, daß wir euern bürgerlichen Dreck drucken!«
    Denn der Meister gehörte leider einer anderen Partei an und druckte nur mit Gift und Galle das Geschreibsel der Widersacher.
    Ruhelos irrte der junge Grundeis weiter, und immer wieder dachte er an den alten Mann auf der Chaussee, der durchaus noch bis Brandenburg hatte fahren wollen, und Potsdam wäre für den ersten Tag doch auch genug gewesen! Und er dachte daran, daß mit dem alten, dem sehr alten Mann all seine Zukunftsaussichten auf Vorwärtskommen und Erfolg über die dunklen Straßen rollten und daß, wenn dem Alten etwas geschah, verschuldet oder unverschuldet, ihm, dem Jungen, in diesem Hause bestimmt nicht wieder eine Chance gegeben würde!
    Und er dachte sich aus, daß der Alte krank werden könnte(er war es ja eben erst gewesen), oder daß ein Auto die Droschke anfahren könnte (es kam alle Stunden vor), oder daß der Alte sich betrinken könnte (er hatte so’ne verdächtige Nase), oder daß ein Rad vom Wagen abgehen könnte (die Folgen waren unabsehbar), oder daß er gegen eine Verkehrsbestimmung sich versündigte (und statt nach Paris ins Kittchen kam), oder daß der Gaul Kolik bekommen könnte …
    Je mehr er sich wegen seiner eigenen Torheit verwünschte, seiner Torheit, sich solchen Quatsch auszudenken, statt sich gemütlich zu einem Abendschoppen im Kollegenkreis niederzusetzen; wegen seiner Torheit, nicht einfach denken zu können: Nun, Schicksal, nimm deinen Lauf; wegen seiner Torheit, diesen ausnahmsweise verruchten Beruf gewählt und sich nun auch noch ausgerechnet selbst die Zuchtrute einer Pariser Landpartie aufgebunden zu haben – während alldem wird er immer unruhiger und strubbelköpfiger und verrückter. Und weiß das gut. Und es wird doch noch schlimmer.
    Er wühlt in seinen roten Haaren, er klappert mit dem Kleingeld in der Tasche. Wie von Erinnyen gehetzt, jagt er durch die Gänge und Zimmer – und wenn er daran denkt, wieviel Zeit vergehen wird, bis Herr Hackendahl in Paris einzutreffen geruhen, und daß er all diese Tage und Nächte so herumzittern wird, dann wird er erst ganz verrückt!
    Ruhig! spricht er zu sich. Nur Ruhe, alter Junge, ein Reporter muß ruhig Blut haben! Ein Zeitungsmann muß sich bei einem Mord kaltblütig Notizen machen können! Du bist viel zu aufgeregt, Grundeis! Du mußt dich abreagieren!
    Und er begibt sich in das Zimmer der Lektoren, wühlt (sie werden am nächsten Morgen sehr erfreut sein) in den dort aufgehäuften Romanmanuskripten, nimmt sich eines, liest eine halbe Seite, sagt: »Mist!« Nimmt das nächste, liest zehn Zeilen, sagt: »Bockmist!« Das dritte macht er gar nicht erst auf, er sagt über den Deckel weg, stöhnend aber innig: »Scheiße, oh, so eine verfluchte, verdammte Scheiße! Wer soll denn das aushalten?!« Meint aber diesmal nicht das Manuskript …
    Das läßt er einfach fallen – es fällt in den Papierkorb, wohinbekanntlich bei gut geordneten Zeitungsredaktionen Manuskripte nie fallen. Der junge Grundeis aber ist aufgesprungen, das Licht hat er natürlich brennen lassen, er ist längst weiter.
    Zehn Zimmer weiter sucht er in einem Kursbuch. Der Satz »Wer soll denn das aushalten?!« hat ihn auf den Gedanken gebracht, daß er es gar nicht nötig hat, das auszuhalten. Um diese frühe Nachtstunde muß noch ein Zug nach Brandenburg (Havel) gehen!
    Natürlich geht noch einer, und obwohl es gar nicht pressiert, stürzt er wie ein Wilder auf die Straße, wirft sich keuchend in

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