Der eiserne Gustav
eine Autotaxe und stöhnt: »Potsdamer Bahnhof!«
Der Chauffeur bekommt einen tiefen Eindruck von solcher Eile, er jagt mit dem Wagen in vier Minuten zum Bahnhof, er denkt: Der Junge muß an ein Sterbebett!
Und Grundeis stürzt an den Schalter, rennt mit der Fahrkarte die Treppe hinauf, stürmt den noch leeren Zug, belegt ein Abteil, stürzt wieder hinaus, trinkt was, kauft ’ne Zeitung, hinein, hinaus, kauft Obst, hinein, hinaus, hinein … Endlich fährt der Zug.
Für eine Stunde, für fast fünfviertel Stunden ist er eingesperrt in diesen verdammten Personenzug, der in jedem Kaff hält, der auch in Potsdam hält! Er hat dem Hackendahl gesagt, er soll nur bis Potsdam fahren, aber auf den weisen Rat der Jugend hört das Alter natürlich nie. Der Mann hat sich in den Kopf gesetzt, bis Brandenburg zu fahren – er übertreibt es schon am ersten Tage!
Düster starrt er auf seine Fahrkarte. Auf der Fahrkarte steht zu lesen, daß die Strecke Berlin – Brandenburg zweiundsechzig Kilometer lang ist, und er hat mit diesem alten Steinesel ausgemacht, daß er im Tagesdurchschnitt fünfunddreißig Kilometer fahren soll. Und einem solchen Idioten hat er sein Lebensglück anvertraut!
Eine tiefe Verzweiflung erfaßt ihn: Selbstverständlich wird alles schiefgehen. Alles, was er anfaßt, geht todsicher schief. Der dicke Oberlehrer Blei hat schon auf der Penne zu ihmgesagt: »Grundeis, du brauchst nur mal was zu wissen, dann ist es auch todsicher Quatsch.« Und als die Mutter ihm für das Sommerfest den weißen Anzug mit dem blauen Matrosenkragen anzog und ihn auf den Klavierdrehstuhl stellte, damit er sich bestimmt auch nicht schmutzig machen konnte, bis es losging – wer hat versucht, stehend den Sessel zum Drehen zu bringen, und hat so lange gedreht, bis die Holzspirale zu Ende war, und er mit Sitz, Spirale und weißem Anzug auf die Erde stürzte …?!
Er! Immer er! Noch nie ist ihm in seinem Leben etwas gelungen. Seine Devise lautet für ewige Zeiten: Grundeis geht mit Grundeis! –Wehmütig schleicht er durch die dunklen, darum aber nicht weniger holprigen Straßen der Stadt Brandenburg. Wehmütig, zaghaft drückt er die Nachtklingeln der Hotels, wartet geduldig und ergeben, bis ihm verschlafene Wesen ungnädig ihr »Nein, nicht angekommen!« entgegenschleudern, und schleicht sachte weiter, zum nächsten Hotel.
Ach, es ist ja aussichtslos! Wäre eine Bank da, er setzte sich am liebsten auf diese Bank, hätte Mitleid mit sich und wartete geduldig auf das einzige, auf das er feste Aussicht hat: seine Auflösung.
Aber keine Bank ist da. Statt ihrer trifft er eine Art Nachtwächter, und dieser Mann gibt ihm Auskunft, daß der Droschkenkutscher aus Berlin eingetroffen und von ihm ins »Schwarze Roß« gelotst worden ist …
»Ganz munterer alter Knabe, bloß’n bißken verfroren. Hier gleich um die Ecke, Herr. Ich zeig Ihnen den Weg …«
Trübselig zottelt Grundeis neben seinem Führer her. Das Ganze ist natürlich ein Mißverständnis, oder die Konkurrenz hat noch einen Droschkenkutscher auf die Tour geschickt. Sein Droschkenkutscher sitzt bestenfalls in Potsdorf, wenn er nicht in einen Chausseegraben gefallen ist …
Bloß aus Gefälligkeit, seinen Führer nicht zu enttäuschen, geht er mit dem guten Mann mit. Aber es ist natürlich kein Gedanke daran, daß er das »Schwarze Roß« betritt – auf denLeim kriecht er der Konkurrenz nun doch nicht! Womöglich sitzt der dicke Willy vom Abendblatt drin – nein, unter keinen Umständen!
Schon vom Vorraum des »Schwarzen Rosses« hört er brüllendes Gelächter.
»Die Herren sind heute mächtig aufgedreht«, sagt der Oberkellner und lächelt auch recht aufgedreht. »Der Berliner Droschkenkutscher macht ihnen soviel Spaß!«
Kaum läßt sich Grundeis Zeit, seinem Führer ein Trinkgeld in die Hand zu drücken, schon stürmt er in die Gaststube.
Und wie er ihn nun da sitzen sieht, den Ollen mit dem braunen, jetzt vor Wärme und Grog glühenden Gesicht, dem stattlichen Vollbart, im Kreise der Brandenburger Honoratioren, wie er ihn da erzählen hört: »Und ick sare zu dem Zossen, dem Blücher: jüah! – Da fängt det Aas doch an mit Rückwärts jenen, mit Zoofen, meine Herren …«
Wie er ihn da so sieht …
Da möchte er sprechen, er, der einzige, der wirklich Anteil an ihm nimmt …
Er möchte die Arme breiten und sprechen: Göttlicher Greis! Schiff meiner Sehnsüchte und Hoffnungen – schiffe glückhaft zum Hafen!
Er sagt aber nur: »Na, Hackendahl, doch
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