Der eiserne Gustav
Artillerie Signale mit Leuchtkugeln.
Der Leutnant von Ramin und Otto Hackendahl hatten sich flach mit dem Bauch auf die Erde geworfen. Sie verbargen ihre Gesichter. Zum Abend lebte das Artilleriefeuer noch einmalauf, sie hörten das Krachen der Einschläge näher. Nun fingen auch im nahen Schützengraben die Maschinengewehre an; die von drüben antworteten.
»Will es denn nie Nacht werden?!« stöhnten sie.
Allmählich wurde es stiller. Im Nacken fühlten sie Feuchte, sachte fing es zu regnen an. Langsam bewegten sie sich; eine Weile schien es unmöglich, die froststarren Glieder wieder gelenkig zu machen.
»Verdammt kalt!« sagte der Leutnant.
»Heute nacht müssen wir es schaffen.«
»Jawohl, heute nacht – es regnet ja.«
»Es wird nicht lange regnen.«
Wieder Warten – Stunden um Stunden. Es wurde nicht richtig dunkel. Man sah den Mond nicht, aber eine fahle Helle war in der Luft …
»Warten wir noch ein Stündchen«, schlug der Leutnant vor. Er klapperte dabei mit den Zähnen.
»Ich habe noch einen Schluck Kirschwasser, Herr Leutnant.«
»Ja, geben Sie her! – Nein, lassen Sie es. Nein. Wirklich nein. – Sie erinnern sich doch, daß Sie mir versprochen haben, in Urlaub zu gehen, wenn wir hier heil rauskommen?«
Otto Hackendahl schwieg.
»Mensch, sagen Sie ja!« drängte der Leutnant. »Ich habe das Gefühl, das müßte uns Glück bringen.«
»Also ja, Herr Leutnant.«
Es wurde nicht dunkler. Es wurde auch nicht ruhiger in diesem Grabenabschnitt. Immer wieder fielen Schüsse, ein Ruf erscholl, ein Maschinengewehr tackte …
»Wir sind noch nicht drüben, mein Junge«, sagte der Leutnant ingrimmig.
»Davor habe ich den meisten Schiß, daß die aus unserem eigenen Graben auf uns schießen«, sagte Hackendahl.
»Sehen Sie! Ihnen ist es auch nicht egal, welche Art von Heldentod Sie sterben!«
Es wurde Mitternacht, aber nun war es eher heller.
Der Leutnant war in einem Zustand qualvoller Unentschlossenheit. Er klapperte vor Kälte, aber vielleicht auch vor Aufregung. Hackendahl hatte es leichter: Er mußte nur auf den Befehl warten.
Plötzlich scholl aus dem Graben der Franzosen ein Gelächter, leise, sofort wieder unterdrückt, aber …
»Es ist der beste Moment, Herr Leutnant!« flüsterte Hackendahl.
»Los!« schrie der Leutnant fast.
Sie schoben sich über den Rand des Trichters. Die Brustwehr des französischen Grabens schien greifbar nahe, vom deutschen Graben war nichts zu sehen.
»Kriechen!« flüsterte der Leutnant heiser.
Es war alles längst vereinbart. Sie wollten versuchen, bis in die nächste Nähe des deutschen Grabens zu kriechen, dann den Posten dort anrufen.
Aber den Leutnant riß die Ungeduld fort. Schon nach dreißig oder vierzig Metern richtete er sich auf.
»Lauf! Sie sehen uns nicht mehr!« rief er.
Sie liefen, der Leutnant vorne, der Unteroffizier schräg links hinter ihm. Es war Hackendahl, als höre er einen Ruf – dann kam das Krachen einer Leuchtpistole, und nun stieg eine Leuchtkugel über ihnen auf, strahlend weiß, immer weißer werdend …
»Hinwerfen, Herr Leutnant!« flehte Hackendahl fast.
»Lauf!« schrie der Leutnant wild und rannte.
Hinter ihnen krachten Schüsse, die Brustwehr des deutschen Grabens war deutlich zu sehen, mehr Leuchtkugeln stiegen auf …
»Nicht schießen!« schrie der Leutnant. »Deutsche! Kameraden!«
Sie schossen von hinten.
Der Leutnant blieb stehen. »Jetzt hat’s mich doch gefaßt! Lauf los, Mensch!«
Hackendahl faßte den Leutnant um und riß ihn mit sichfort. Über die Brustwehr ließ er sich direkt auf die Schultern der Kameraden fallen.
Eine Stunde später, als das Feuer im Grabenabschnitt wieder eingeschlafen war, trugen Krankenträger den Leutnant von Ramin nach hinten.
»Das ist noch gnädig abgegangen«, sagte er lächelnd zu Otto Hackendahl. »Oberarmmuskel glatt durchschossen. Nicht mal ein Heimatschuß ist das. In drei Wochen bin ich wieder hier.« Und leiser: »Sie wissen, was Sie mir versprochen haben, Hackendahl? In Urlaub gehen – ja?«
»Herr Leutnant sind aber nicht heil rübergekommen.«
»Wollen Sie mit Ihrem Herrgott handeln? Machen Sie keine Geschichten. Sie reichen sofort Urlaub ein?«
»Zu Befehl, Herr Leutnant!«
7
Es dauerte dann doch noch einige Zeit, bis Otto Hackendahl seinen Heimaturlaub bekam. Äußerlich ließ er sich nicht viel anmerken, vielleicht, daß er seine Gasmaske ein wenig früher als sonst aufsetzte, wenn der Ruf: »Gasgranaten!« erscholl. Vielleicht, daß ihm der
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