Der eiserne Gustav
beim Stabe!« sagte der Junge patzig und verstummte.
»Nun, nun«, machte der Abgeordnete beruhigend, »wir wollen uns ja nicht streiten, Erich. Ich verstehe vollkommen, daß du deine Anschauungen geändert hast. Ich selbst bin nicht im Schützengraben, und ich gehe auch nicht hinein. Ich habe alles Verständnis dafür, wenn sich jemand vor dem Schützengraben drückt …«
»Ich habe mich nicht gedrückt, Herr Doktor!« rief Erich zornig. »Ich bin abkommandier …«
»Natürlich, du bist abkommandiert. Du tust hier deine Pflicht, genau wie du sie draußen getan hast. Ich zweifle nicht daran.« Die Stimme des Abgeordneten blieb gleichmäßig freundlich. »Wie gesagt, wir streiten uns nicht, weder um Worte noch um Begriffe. Wir haben alle einiges zugelernt, in den letzten zwei Jahren, nicht wahr? Aber, Hand aufs Herz, mein Sohn Erich, es ist doch verdammt anders gekommen, als wir es uns im August vierzehn gedacht haben? Du erinnerst dich doch?«
»Ich gehe auf der Stelle wieder in den Schützengraben«, sagte Erich wütend, »wenn sie alle gehen. Aber daß ich mir meine Knochen kaputtschießen lassen soll, und die Herrschaften hier waten in Sekt …«
»Da watest du lieber mit, ich verstehe«, sagte der Abgeordnete.
»Herr Doktor!« Erich schrie es fast.
»Du willst mich doch nicht rausschmeißen, mein Junge? Was sollen denn bei mir diese Mätzchen, Erich?! Sei vernünftig und laß mit dir reden. Du bist doch nicht dumm. Du müßtest dir doch eigentlich sagen, wenn das Mitglied des Reichstages den kleinen Leutnant X persönlich aufsucht, so geschieht das doch nicht darum, um hier kleine neckische Bemerkungen zu tauschen …«
»Ich bin kein Drückeberger.«
»Schön, du bist keiner. – Bist du nun zufrieden? Noch nicht? Also, Erich, wollen wir nun reden, oder soll ich gehen?«
Er wartete aber keine Antwort ab, er sagte: »Ich weiß nicht, ob du die Dinge im Reichstag verfolgt hast, Erich? Bei der letzten Abstimmung über die neuen Kriegskredite haben bereits 31 Abgeordnete mit Nein gestimmt, fast ein Drittel meiner Fraktion. – Beruhige dich, ich gehöre nicht zu diesem Drittel, wäre ich sonst auf spezielle Einladung des Oberkommandos hier? – Wahrscheinlich wird sich schon bald meine Fraktion spalten, in einen radikalen Flügel, der gegen den Krieg ist, und in uns, die Mehrheit, die wir für den Krieg sind.«
Erich sah den Abgeordneten gespannt an. Die kleinen Häkeleien von eben waren vergessen.
»Natürlich sind wir auch nicht für den Krieg, Erich. Wenn wir vor zwei Jahren wirklich dafür waren, so haben wir unterdes vieles gelernt, Erich. Wir müssen nicht erst in euer hübsches Etappenstädtchen Lille fahren, um zu wissen, daß es keinen geeinten Volkswillen mehr gibt. Es gibt nur noch eine allgemeine Unzufriedenheit … im Hinterlande. In den Städten sieht es böse aus, Erich, es hat schon Krawalle gegeben …«
»Ich habe davon gehört«, sagte Erich.
»Natürlich hast du davon gehört, Erich. Dafür wird schon gesorgt, daß so etwas nicht unbekannt bleibt.« Der Abgeordnete lächelte listig. »Aber ich sage meinen KollegenNeinsagern immer wieder: Das ist gar nichts. Unzufriedenheit im Hinterlande bedeutet nichts, solange die Herren Militärs noch regieren … Bewilligen wir ihnen doch weiter ihre Kredite, mögen sie ihren Krieg doch weiterführen …«
Sie schwiegen eine Weile, sehr lange. Erich sah unruhig nach der Tür, zu den Fenstern.
Einmal sagte der Abgeordnete verloren: »Ja, die Stimmung an der Front …«, sah Erich an und schwieg wieder.
Dann lauter: »Es war eine seltsame Reise an die Front, mein lieber Erich, zu der wir hier eingeladen worden sind. Von der Front haben wir nämlich nichts zu sehen bekommen. Einmal hat man uns auch einen Schützengraben gezeigt. Die Unterstände waren betoniert, ich möchte schwören, die Lattenroste, die im Graben lagen, waren noch am Morgen der Besichtigung geschrubbt worden. Man genierte sich ordentlich, auf das weiße Holz zu treten … Ja, das war also unser Schützengraben …«
Er sah Erich an, aber Erich schwieg noch immer.
»Es ist tagesklar«, sagte der Abgeordnete plötzlich entschlossen, »daß diese Regierung stürzt, sobald die Front zusammenbricht. Es sind zuviel Feinde, draußen wie drinnen. Man muß nur warten können. Warten und vorbereiten. Und wenn es dann soweit ist, wenn – es – dann – so – weit – ist, sind wir da! Wir sind dann die einzigen, die eine Regierung bilden können. Weil der Arbeiter, der
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