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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zuletzt, als es in den Krieg ging. Aber ich habe sie nicht geheiratet, und bloß nicht, weil ich mich nicht getraut habe, es meinem Vater zu gestehen und von ihm die Papiere zu verlangen …«
    »So«, sagte der Leutnant. »Ihr Vater war also der, der Ihnen den eigenen Willen genommen hat. – Und nun trauen Sie sich nicht zu dem Mädchen?«
    »Aber, Herr Leutnant! Die Gertrud hat doch nie ein Wort gesagt! Ich traue mich nicht zu meinem Vater!«
    »Aber, Hackendahl, Sie werden doch jetzt nicht mehr vor Ihrem Vater Angst haben – ein Mann wie Sie, hundertfach im Feuer bewährt! Sie sind doch jetzt ein ganz anderer Kerl als vor zwei Jahren! – Ist denn Ihr Vater wirklich solch ein Wüterich?«
    »Das ist er gar nicht, Herr Leutnant. Im Grunde ist er ein ganz guter Mann, aber wer nicht so ist und tut und denkt wie er, der ist sein Feind, und auf den hat er richtig einen persönlichen Haß und bildet sich ein, er tut dem lieben Gott einen Gefallen, wenn er den Feind verfolgt und ängstigt bis auf den Tod. – Und so ein Feind war ich, sein Sohn – ich war sogar ein ganz besonders schlimmer.«
    »Solche kenne ich auch!« rief der Leutnant eifrig. Ihm war warm geworden von dem Bericht des Unteroffiziers. Erinnerungen kamen ihm – aus der Kinderzeit her hörte er das Dröhnen von den eisernen Gesetzestafeln der Großen.
    »Solche kenne ich auch!« hatte er gerufen. Und nachdenklich erzählte er: »Als ich das letztemal auf Urlaub fuhr, war ich auch bei einem Onkel, Gutsbesitzer. Da war noch nicht viel vom Hunger zu spüren, sie sorgen selbst für sich. Sie brauchen keine Karten, man nennt das Selbstversorger. Sie werden davon gehört haben, Hackendahl?«
    Hackendahl nickte.
    »Ja«, sagte der Leutnant. »Und als ich da abreiste, sollte ich einem Bruder des Onkels, der als pensionierter Landgerichtsdirektor in der Stadt lebte, ein Freßpaket mitbringen. ›Du wirst es schon schaffen‹, lachte mein Onkel. Ich wußte nicht recht, was dabei zu schaffen war, wenn er nicht die Größe des Paketes meinte, das ich durch alle Abteile schleppen mußte und nicht aus dem Auge verlieren durfte …«
    Der Leutnant schwieg eine Weile, er dachte daran, wie er sich über die aufgebürdete Last geärgert und wie er sich doch auch wieder gefreut hatte, wenn er an das Glück dachte, das solch ein Paket heute verbreitete …
    »Ja«, fuhr er in seinem Bericht fort, »dann kam ich also mit dem Paket zum Onkel. Ich hatte ihn lange nicht gesehen und erschrak, wie sehr er sich verändert hatte. Sein Gesicht war ganz klein geworden, kaum mehr als ein Kindergesicht – oh, es sah so jämmerlich aus! Und dann der Hals, dieser schreckliche Hals, dem die Haut viel zu weit geworden war – in Lappen hing sie, in roten, verschrumpelten Lappen …«
    Er schwieg wieder. Er sah die Gestalt vor sich. Dann sagte er: »Sie müssen wissen, Hackendahl, mein Onkel gehörte auch zu den Leuten mit dem preußischen Pflichtbegriff. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, nur von seinen Karten zu leben, und verhungerte fast darüber. ›Die Regierung weiß, was sie tut‹, hat er gesagt. ›Und wenn sie ausgerechnet hat, daß man von seinen Karten leben kann, dann geht es auch.‹«
    Leutnant von Ramin sah sich an dem Tisch beim Onkel sitzen: Der Onkel bewirtete seinen jungen Gast, das gehörte sich so. Er hatte ihm ein Glas Wein eingeschenkt, und der Wein war herrlich, denn Wein gab es ohne Karten, und derOnkel war ein reicher Mann … Aber neben dem Weinglas lag auf einem Holztellerchen ein Scheibchen Brot, ach so ein Scheibchen, man sah fast die Maserung des Holzes hindurch! Und auf dem Brot war ein wenig Fett und eine Scheibe Ei, eine sehr dünne Scheibe Ei – und ein saures mageres Fischlein …
    »Iß, mein Junge«, hatte der Onkel gesagt, »laß es dir schmecken!« Und seine Stimme hatte gezittert. »Ich habe schon gegessen!«
    »Und ich habe gedacht«, erzählte der Leutnant von Ramin, »ich würde mit meinem Freßpaket wie der liebe Heiland aufgenommen! Da habe ich aber gesehen, was mein Onkel auf dem Lande mit dem Schon-Schaffen gemeint hat. Ich habe es nämlich auch nicht geschafft. ›Du willst einen deutschen Richter zu einer Gesetzesübertretung verführen?!‹ hat der Onkel gerufen. ›Mach, daß du aus meinem Hause kommst! Wie könnte ich noch eine Nacht ruhig schlafen, wenn ich selbst ein Gesetzesübertreter wäre! Tausende, Zehntausende von Dieben und Betrügern habe ich verurteilt in meinem Leben, ich hätte sie ja alle zu Unrecht verurteilt,

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