Der Eiserne König
Grottenolm nickte. »Ja«, sagte er tief betrübt. »Manchmal hätte ich gern Augen. Und sei es nur, um weinen zu können.« Damit verschwand er im Heiligen Weiher.
Maleen kehrte zu ihren Gefährten zurück. Man hatte die drei Feen in weiße Tücher gehüllt und auf Tragen gebettet. Keiler, Braunbären und Weißwölfe trugen die gefallenen Tiere und Köhler auf dem Rücken. Alle anderen Toten waren unter pechdurchtränktem Sackleinen aufgebahrt worden, das man in Brand steckte, bevor sich der Trauerzug in Bewegung setzte. Die Flammen verzehrten Kultknechte und Karontiden, die als schwarzer Qualm durch einen Gesteinsspalt in den Tiefen des Gretings verschwanden.
Der Eiserne König ruhte in der Grabkammer. Sein Leib war eiskalt, sein Atem stiller als die Luft während der Hundstage. Die Wesen der Wilden Jagd warteten reglos.
Ihre Stunde war nah. Der Altweibersommer ergab sich der Kühle eines grauen Herbstes. In der Frühe dampfte Nebel aus den Klüften des Gretings, wallte über Flutwidde, ballte sich über Sand und Sümpfen der Hohen Heide. Nachts kreischten Schleiereulen, und Wölfe heulten den Mond an, der sich zum Tag der Ruhelosen Seelen hin rundete.
Zwölf jener Hexen, die die Gefährten im Föhrenforst in die Falle gelockt hatten, schritten durch den Königskessel einzeln auf das Grab des Eisernen Königs zu. Die drei Findlinge, unter denen sich der Eingang zur Grabkammer verbarg, bildeten ein Dreieck. Die in Lumpen gewandeten, mit Amuletten behängten Hexen stellten sich zum Quadrat auf und warteten, bis der Abend zu dämmern begann. Schließlich erschienen die Krähen und ließen sich wie im Föhrenforst auf den Stäben nieder.
Stille trat ein. Im Süden und Südosten erhob sich der Greting, dessen zerklüftete Ausläufer westlich des Königskessels in die Ebenen eines Landes führten, das seit Menschengedenken niemand mehr betreten hatte; man wusste nur, dass die Sonne dort auf ihr Nachtlager sank. Dann stimmten die Hexen in der Abenddämmerung ihren Kehlkopfgesang an. Er wurde von den Felsen in den Königskessel zurückgeworfen, hallte über die Gräber der Herrscher.
In der Grabkammer ließen die Wesen der Wilden Jagd ihren Blick unruhig durch das Dunkel zucken.
Aber der Eiserne König regte sich nicht.
Die Gefährten standen mit gesenktem Kopf am Grab, in dem Hardt seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Sneewitt stützte sich auf Horn, der lautstark in sein Taschentuch blies.
»Für einen Quereinsteiger war er nicht übel«, flüsterte sie mit einem Kloß im Hals. »Ich werde nie vergessen, wie er seinen Schnurrbart gezwirbelt hat.«
»Er war ein guter Mann«, sagte Hans. »Wir hätten ihn noch gebraucht.«
Kunz, den Sack mit dem Knüppel gegen die Brust gedrückt, starrte stumm auf den Steinhügel. Dann hob er den Kopf und verkündete mit bebender Stimme: »Ich schwöre, dass ich auf deinen Knüppel achtgeben werde, Hardt.«
Horn brummte: »Auf Wiedersehen, Freund«, und legte einen Arm um Sneewitt.
Maleen stand stumm da, und Sanne weinte einige Tränen, die als glitzernde Perlen bis zum Grab kullerten.
»Bei Hollerbusch und Katzenbart«, murmelte die Muhme, »ruhe sanft, mein guter Hardt …«
»Ich weiß schon nicht mehr, wie er aussah«, klagte der Fuchs. »Das Leben verliert sich so rasch im Tod. Ich frage mich oft, warum ich überhaupt geworfen wurde.«
»Hör auf zu grübeln«, grunzte Meister Grimbart, der zu den Gräbern der Braunbären, Wölfe und Keiler sah. »Dazu fehlt uns jetzt wirklich die Muße.«
Dann gingen die Gefährten zum Scheiterhaufen. Nachdem sie ihren Toten die letzte Ehre erwiesen hatten, stießen auch die Köhler und Raubtiere dazu. Die drei blinden Feen lagen auf dem Scheiterhaufen, den man an einer Stelle aufgeschichtet hatte, wo sich die Grotte besonders hoch wölbte. Die gut fünf Steinwürfe entfernte, riesige Esche knarrte dumpf und wie in Trauer und ließ graues Laub zu Boden segeln.
Nachdem sich alle versammelt hatten, ergriff die Muhme das Wort. »Erinnert ihr euch an das Geflüster der Feen, das uns der Wind jene Nacht zutrug?«, begann sie. »Bis zu ihrem Tod, bis in diese Tage, da unser ärgster Feind zu erwachen droht, haben sie die Esche bewacht und benetzt und damit auch Pinafor beschützt. Aber …« – sie winkte Maleen zu sich – »… die Welse haben eine neue Hüterin der Esche erwählt. Sie ist jung, aber sie wird sich bewähren. Entfache das Feuer, mein Kind.«
Maleen trat mit gesenktem Blick neben sie.
Harlung gab der
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