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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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Muhme eine Fackel. Die Muhme reichte sie an Maleen weiter, die den Scheiterhaufen zögernd in Brand setzte. Goldene Flammen schlugen aus dem Eschenholz, und wolkenweißer Rauch stieg auf. Als das Feuer die Feen erreichte, stank es weder nach verkohltem Fleisch, noch stoben Asche oder Ruß. Stattdessen duftete es nach Blumen und Kräutern. Silberne Kristalle wirbelten durch die Luft und rieselten auf Maleen. Sie atmete sie ein, sie schmeckte sie auf der Zunge, würzig und süß.
    »Die drei blinden Feen vereinen sich mit dir«, flüsterte die hinter ihr stehende Muhme, auf deren Mantel kein einziger Kristall zu sehen war. »Öffne dich ihnen.«
    Maleen schloss die Augen. Sie vernahm Schluchzer, leises Jaulen, betrübtes Hecheln und dann eine Stimme, gedämpft und sanft und wie aus großer Tiefe oder weiter Ferne.
Meine Kräfte schwinden,
sprach die Stimme,
aber ich vertraue dir, Jungfrau Maleen. Noch ist nichts verloren.
    Und Maleen, die begriff, dass die Esche zu ihr sprach, sank zitternd auf die Knie.
     
    Währenddessen hallte der Kehlkopfgesang der Hexen weiter im Königskessel, über dem sich die Dämmerung zum Dunkel ballte. Die Krähen saßen stumm auf den Stäben. Ihre Köpfe zuckten hin und her. Dies war der Tag der Ruhelosen Seelen, und die Luft flirrte, als wären Geister auf Wanderschaft. Wolkenfetzen zogen am Mond vorbei, der silberbleich und groß und mit fahlem Hof am Himmel stand. Er schien direkt über dem Königskessel zu verharren, und sein Schein tastete sich durch Dunkel und Dunst und warf die Schatten der singenden Hexen über Stock und Stein.
    Am Tag der Ruhelosen Seelen zeigten sich die Sterne nicht. Sie verbargen sich jenseits der sieben Hüllen des Himmels an dem unermesslich weit entfernten Ort, an dem sich die Leiber und Gebeine der Reifriesen vor Urzeiten zu einem milchigen, nur selten zu sehenden Schleier verwoben hatten.
    Dann erschien die dreizehnte Hexe zwischen den Findlingen. Ihr Gesicht lag im Schatten einer Kapuze. »Erhebe dich!«, rief sie in den Gesang und hob einen Kelch hoch über ihren Kopf, der mit dem Blut der drei blinden Feen gefüllt war. Die übrigen Hexen verstummten, und im Königskessel trat eine in den Ohren summende Stille ein. Nur die Luft flirrte und sirrte wie von Tausenden von Geistern.
    »Erhebe dich! Erhebe dich!«, riefen die Hexen im Chor und reihten sich zur Prozession auf. Geführt von der Hexe mit dem Kelch, schlängelten sie sich durch einen Spalt zwischen den Findlingen und stiegen die Steinstufen bis zur tief unter der Erde gelegenen Eisentür hinab. Eine der Hexen schnitt sich mit einer Sichel in den Daumen und malte mit ihrem Blut ein geheimes Zeichen an die Tür.
    Die Tür schwang auf.
    Die Wesen der Wilden Jagd wandten sich zu den Hexen um. Ihre Augen flammten auf und erhellten die Grabkammer mit einem gelb-roten Licht.
    In der dumpfen, stickigen Stille ertönte ein Ächzen. Es schien dem Mund des Eisernen Königs zu entweichen.
     
    Gefährten und Köhler knieten vor dem lichterloh brennenden Scheiterhaufen. Die Tiere wichen nach gebührend langer Zeit vom Feuer zurück, und Meister Grimbart gesellte sich zu den Keilern, die zu ihren Bachen und Frischlingen zurückkehren wollten.
    »Wir haben die Menschen ein zweites Mal unterstützt«, sagte der neuerlich verwundete Schwarzborste, »und auf Bitten der Köhler alle Keiler des Gretings zusammengetrommelt. Fünf von uns sind tot, viele verletzt. Jetzt müssen wir die unseren beschützen. Denn falls der Eiserne König tatsächlich erwacht, droht auch uns große Gefahr.«
    Grauklaue sah zum Feuer, das die Grotte in einen goldenen Lichtschein tauchte. Schatten tanzten wie beseelt auf den Felswänden, und der weiße Rauch erfüllte alles mit seinem Wohlgeruch.
    »Ja, das kann ich verstehen«, erwiderte der Dachs. »Wir Tiere haben genug getan.«
    »Kehrst du auch heim?«, fragte Schwarzborste.
    Meister Grimbart schwieg. »Ich fühle mich alt und müde«, sagte er nach einer Weile, »und ich mag nicht mehr kämpfen. Aber ich kann meine Gefährten nicht im Stich lassen.«
    Der neben ihm liegende Fuchs verzog das Maul und sah zu den Bären und Wölfen, die sich zum Aufbruch sammelten. Er seufzte sehnsüchtig.
    »Bären und Wölfe haben im Kampf gegen die Karontiden schwere Verluste erlitten«, sagte Grauklaue. »Sie werden sich tief in die Wälder zurückziehen.«
    »Gute Idee«, murmelte Reineke Fuchs. »Ich würde es auch so machen, aber ich darf ja nicht.«
    »Geh doch, du Held«, erwiderte Meister

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