Der Eiserne König
Königskessel genannte Tal wie die Reißzähne eines Raubtiers umgaben. Dies war Unland. Hier schliefen die Herrscher Pinafors in ihren Grüften den ewigen Schlaf. Hier verbarg sich die Grabkammer des Eisernen Königs zwischen Felsen und abgestorbenen Eichen. Der Geist des Wesens der Wilden Jagd wurde wieder zu einem Rauchfaden, der in den Kessel hinabglitt und sich durch Spalten im Gestein in die klaftertief unter der Erde gelegene Grabkammer des Eisernen Königs schlängelte.
Im runden, von einer Mittelsäule gestützten Raum herrschte Finsternis. Man hatte den Eisernen König auf einem Altar aus schwarzem Granit aufgebahrt, in den sein ebenso schwarzer Bart eingewachsen war. Er trug eine Schuppenpanzerrüstung, und in seiner Brust steckte der Pflock aus einem Ast der heiligen Esche, den ihm Hilmar von der Usse, Erster in der Dynastie der Gografen, ins Herz getrieben hatte, damit er nie mehr erwachte. Ringsumher glühten rote und gelbe Augen. Alle Wesen der Wilden Jagd hatten sich in der Grabkammer versammelt. Sie hockten stumm und reglos da und warteten auf ihre Stunde.
Der Rauchfaden glitt in den Mund und durch den Schlund des Eisernen Königs, der schon den dunklen Dunst des Hags in seinem Körper barg. Alles war bereit. Nun bedurfte es nur noch des richtigen Tages und des passenden Zaubers – dann würde sich der Eiserne König erheben.
22. Leben und Tod
Tief unter der Erde arbeiteten Mädchen an Spinnrädern. Ihre Füße waren in Eisen gelegt, ihre geröteten Augen tränten, sie trugen ein Tuch vor Mund und Nase. Wächter schritten durch die Reihen und ließen die Peitsche knallen. Andere Mädchen schleppten Stroh aus Vorratskammern herbei. Wieder andere schafften das zu Gold gesponnene Stroh in ein angrenzendes Gewölbe, wo es geschmolzen und zu Münzen geprägt wurde. Jede Münze trug das Wappen der Gografen.
Aber die Gografen prägten diese Münzen nicht.
Räder und Spindeln surrten ohne Unterlass, und die Mädchen bedienten unablässig den Tritt. Im Licht der Fackeln wirbelte Staub durch die Luft. In einer Nische des Gewölbes standen zwei Personen, eingehüllt in Schatten wie in finstere Gedanken.
»Die Stumme ist tot«, sagte die eine.
»Eine gute Neuigkeit«, sagte die andere.
»Aber die Gografen wollen ein Heer ausheben.«
»Sie werden scheitern. Wir werden mehr Gold in Umlauf bringen, auch wenn das Stroh zur Neige geht.«
»Das Mädchen mit den grünen Augen ist zur Hüterin ernannt worden. Sie ist auf dem Weg zur Esche.«
»Sie kommt zu spät. Bevor sie etwas bewirken kann, wecken wir den Eisernen König.«
Die beiden verschwanden in einem Gang. Eines der zahllosen Mädchen, die sich die Finger blutig spannen, schickte ihnen einen Blick hinterher, in dem alles gebrannte Herzeleid dieser Welt lag.
Und die Spinnräder schnurrten weiter.
In der Morgendämmerung hing Dunst über dem Welsfluss, und das Laub der Eichen auf den Hängen des Gretings war aschfahl.
Nachdem die Muhme und Maleen, Dachs und Fuchs beim Anleger im Himmelstor an Land gegangen waren, bedankten sie sich bei den Welsen für die Fahrt.
»Wir sind bereit, wenn ihr Hilfe braucht«, blubberte der alte Waller. »Aber vergesst nicht: Meidet finstere Gewässer und hütet euch vor den Ungeheuern der Abgründe.«
»Keine Bange«, erwiderte Reineke Fuchs. »Ich kann sowieso nicht schwimmen.«
»Immer schön die Flossen steifhalten!«, riefen die übrigen Welse. Dann verschwanden sie im reißenden Fluss.
Die Gefährten machten sich auf den Weg in den Greting. Als sie am folgenden Vormittag das Lager der Köhler erreichten, fanden sie dort nur einige Männer vor, die sich um die Meiler kümmerten. Zu ihrem Erstaunen erfuhren sie, dass die Köhler doch in den Kampf gezogen waren.
»Harlung sollte längst wieder da sein«, sagte einer. »Keine Ahnung, was ihn aufhält.«
Die zwei Frauen zogen weiter, geführt von Dachs und Fuchs. Sie verbrachten die Nacht in der mit Samt ausgeschlagenen Hütte. Am nächsten Tag durchwateten sie die Schlucht und stießen auf einen Köhler, der beim Wasserfall Wache hielt.
»Die Verwundeten halten uns auf«, berichtete er. »Außerdem müssen die Feen bestattet werden.«
In der Höhle der Hallenden Tropfen lag ein Braunbär. Fuchs und Dachs wollten ihn befragen, aber er war wortkarg und leckte seine Wunden. Schließlich erreichten sie die Grotte, in der die Esche wurzelte.
»Endlich«, keuchte die hinkende Muhme, die sich schwer auf ihren Stock stützte. »Ich pfeife auf dem letzten
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