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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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erinnerten.
    Die Wesen der Wilden Jagd duckten sich kreischend unter ihre ledrigen Flügel.
    Die Fingernägel des Königs kratzten auf dem Granit. Dunst entwich seinem Mund, dessen Lippen noch feucht vom Blut der Feen waren.
    Die Vokale des Gesangs donnerten wie Trommelschläge in der Grabkammer, die Konsonanten hallten wie das Kreuzen zweier Schwertklingen. Das Gewölbe funkelte rötlich, als würde der Schein des Mondes in der Erde versickern und Tropfen wie blutige Sterne unter der Decke bilden.
    Die Wesen der Wilden Jagd, Abkömmlinge der Ragnarökk, die bei Anbeginn der Welt in die Finsternis zurückgestürzt waren, kauerten sich winselnd unter ihre Flügel.
    Die Hexen sangen weiter.
    Der Eiserne König öffnete die Augen. Er versuchte, sich aufzurichten. Er stöhnte tief in der Kehle.
    Drei Hexen wollten ihm helfen, aber seine Rüstung war so schwer, dass weitere drei mit anfassen mussten. Sie stützten ihn, als er sich von der Granitplatte wälzte und zur Treppe schleppte. Die restlichen Hexen folgten singend, die Wesen der Wilden Jagd drängten hinterher. Der Eiserne König kam immer wieder ins Wanken, und es bedurfte der gemeinsamen Anstrengung aller Hexen, um ihn aufrecht zu halten. Er quälte sich nach oben wie ein waidwunder Wolf. Spinnen und Asseln wimmelten an ihm vorbei ins Freie, als wären auch sie vom Tod auferstanden.
    Auf den letzten Treppenstufen schwankte der König erneut. Seine Augen schlossen sich, und die Hexen stützten ihn mit letzter Kraft. Da berührte ihn der Schein des roten Mondes. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Das Zeichen auf seiner Stirn erglühte, seine Augen strahlten. Er schüttelte die Hexen so ruckartig ab, dass sie taumelten, und nahm die restlichen Stufen aus eigener Kraft.
    Dann stand er im vollen Mondschein.
    Er holte tief Luft.
    Der in seinem Herzen steckende Eschenpflock flammte auf, verbrannte mit weißem Rauch, zerbröselte zu Asche.
    Die dreizehn Hexen warfen sich vor den Findlingen lang auf den Boden. Sie baten um Gnade, versicherten ihn ihrer Treue, schworen ihm Gefolgschaft.
    Ein Wesen der Wilden Jagd legte ihm den Helm zu Füßen. Ein zweites brachte ihm das Schwert. Ein drittes den Schild.
    Der Eiserne König stand reglos im Mondschein und nahm die ganze Kraft des Gestirns in sich auf. Beim Ausatmen entwich seinem Mund der dunkle Dunst des Dornenhags.
    Im Königskessel schwelte die Stille.
    Die Hexen lagen weiter lang ausgestreckt auf der Erde.
    Die Wilde Jagd stand bereit.
    Dann warf der Eiserne König den Kopf in den Nacken und stieß einen gellenden Schrei aus, der von den Kalksteinfelsen widerhallte und weit in die Nacht schallte.

23. Die Hatz beginnt
    Wenige Tage später brachen die Gografen auf, um ein Heer auszuheben. Sie erschraken beim Anblick des faulenden Getreides, denn immerhin ritten sie durch das fruchtbare und wohlhabende Flutwidde. Vieh brüllte auf den Weiden, die Wege waren wie leergefegt, und weder Handwerker noch Landmänner waren bei der Arbeit zu sehen.
    Es sollte noch schlimmer kommen. Als der kleine, aus Rittern und Kriegern bestehende Heerbann der Gografen in das erste Dorf einzog, wurde er nicht von ehrerbietigen Untertanen, sondern von Schweinen empfangen, die sich im Dreck suhlten. Beim Klang der Fanfare ergriffen Hühner die Flucht, und ein Landmann torkelte aus der Schenke.
    Hilck von der Usse herrschte ihn an: »Wo steckt der Vogt, Kerl?«
    Dem Landmann dämmerte nur langsam, wer da gerüstet, gestiefelt und gespornt vor ihm stand. Schließlich hob er die Hand mit der Schnapsflasche, zeigte auf ein Haus und lallte: »Da … da-da … da …«
    Einige Krieger lachten, aber die Miene der Zwillingsbrüder blieb finster. Helmdag von der Usse schickte einen Mann los, um den Vogt zu holen, der nach einer Weile in Unterwäsche und mit wirren Haaren aus dem Haus kam und katzbuckelnd auf die Gografen zustolperte. Eine halb angezogene Frau sah ihm durch den Türspalt nach.
    »Du bist der Vogt dieses Dorfes?«, fragte Hilck von der Usse.
    Der Mann nickte, wobei er seine Unterhose raffte.
    »Was ist hier los?«, fragte Helmdag. »Warum ist das Getreide nicht geernet worden? Wieso läufst du am hellichten Tag in diesem Aufzug herum?«
    Der Vogt schürzte trotzig die Unterlippe.
    Die Gografen betrachteten die Katen, die so verwahrlost wie die Äcker waren: Überall Schmutz, verrottende Strohdächer, verdorrte Blumen in den Fenstern. Hier hatte lange niemand mehr einen Handschlag getan.
    »Haut doch ab!«, schrie der Landmann lallend.

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