Der Eiserne König
Loch.«
Maleen betrachtete den Baum. Auch sein Laub fiel. Der Grottenolm tauchte aus dem Heiligen Weiher auf und rief: »Wo ist meine neue Herrin? Wo ist die Hüterin der Esche?«
»Tja«, flüsterte Reineke Fuchs süffisant, »Augen müsste man haben.«
Der Dachs lief zur Marterhöhle, in der die Verwundeten auf Lagern aus Laub und Gras lagen. Sanne humpelte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Über ihre Wangen liefen Tränen, die sofort zu Perlen wurden. »Da seid ihr ja!«, rief sie. »Oh, es ist schrecklich – Hardt ist tot, und alle anderen sind schlimm zugerichtet.« Sie umarmte die Muhme und Maleen und kraulte den hocherfreut hechelnden Fuchs.
Sneewitts Gesicht war blau und grün geschwollen. »Na?«, fragte sie. »Habt ihr euch in der Zwischenzeit gut amüsiert?« Sie wollte sich aufrichten, fiel aber stöhnend zurück.
»Typisch«, sagte Sanne. »Anstatt einmal richtig zu heulen, gibt sie keinen Mucks von sich, beißt die Zähne zusammen und will sogar aufstehen. Sie muss
ruhen
.«
»Ich kann ruhen, wenn ich tot bin«, murmelte Sneewitt.
»Ach, sei still!«, rief Sanne. »Reicht es denn nicht, dass Hardt von einer Karontide getötet wurde?«
»Der brave Hardt«, flüsterte Maleen traurig.
»Er ist umgekommen, als er Sneewitt zu Hilfe eilen wollte«, sagte Sanne.
»Bin ich etwa schuld am Tod dieses eitlen Gockels?«, blaffte Sneewitt, die nun doch mit den Tränen kämpfte. »Und warum ruhst
du
nicht? Du bist auch gemartert worden.«
»Ich bin glimpflich davongekommen«, sagte Sanne, an die Muhme gewandt. »Aber ich sehe am ganzen Körper aus wie Maleen auf dem Rücken.«
Hans, der jetzt einige graue Haare und scharfe Falten um den Mund hatte, griff nach der Hand der Muhme, drückte sie fest und fragte: »Wart ihr bei der Feste der Gografen? Habt ihr den Bann brechen können?«
»Ja«, brummte die Muhme. »Aber wenn ich an den Hag denke, habe ich kein gutes Gefühl.«
»Mir geht es ähnlich«, sagte Hans. »Ich glaube, unser Sieg ist in Wahrheit eine Niederlage.« Er sank auf sein Lager. Hardts Tod schmerzte ihn sehr, denn er hatte schon wieder jemanden verloren, der ihm nahe gewesen war.
»Eine Niederlage?«, fragte der Fuchs. »Warum denn das? Die Gografen sind putzmunter, und die Welse haben Maleen zur Hüterin der Esche ernannt.«
Sanne, Hans und Sneewitt sahen Maleen erstaunt an.
»Ja, das sind gute Neuigkeiten«, sagte der zu den Gefährten tretende Harlung. Er trug den rechten Arm in einer Schlinge und stützte sich auf seine Streitaxt. »Nun können wir die Feen bestatten. Sie müssen auf einem Scheiterhaufen aus dem Holz der Esche verbrannt werden.«
Hacken und Schaufeln klirrten, als Kunz und Horn mit einer Gruppe von Köhlern zurückkehrten. Sie hatten ein Grab für Hardt ausgehoben und den Scheiterhaufen aufgeschichtet.
»Die Damen sind wieder da«, rief Horn beglückt und schloss Maleen in seine Arme.
»Seit wann bin ich eine Dame?«, zischte der Fuchs.
Kunz klopfte ihm auf die Flanke. »Na, Hühnerdieb?«, sagte er freundlich.
Maleen ging zum Weiher, dessen schwarzes Wasser glitzerte, als würden sich Sterne darin spiegeln. Die Esche knarrte und ächzte, und der Boden war von Laub bedeckt, das unter Maleens Füßen zu grauem Staub zerfiel. Als sie vor dem Weiher stand, tauchte der Grottenolm auf, von dem ihr Meister Grimbart und Reineke Fuchs berichtet hatten.
»Du bist meine Herrin«, flehte er. »Du bist die neue Hüterin der Esche, und du musst ihr helfen. Sie siecht dahin.«
»Ich werde es versuchen«, sagte Maleen zaghaft.
»Meine Herrinnen haben Qualen gelitten«, klagte das blinde Geschöpf. »Und ich kann spüren, dass sich der Eiserne König regt. Alles Lebendige spürt es. Ich höre es im Rauschen der Wasser, und die Ragnarökk warnen seit langem.«
»Die Ragnarökk?«, fragte Maleen.
»Ein Volk aus der Zeit vor unserer Zeit«, antwortete der Olm, »das sich vor den Menschen verbirgt. Als die Reifriesen die Welt der Finsternis entrissen, kam ein Teil der Ragnarökk ans Licht. Ein anderer Teil stürzte zurück ins Dunkel, und ihre Seelen verdarben. Das sind die Wesen der Wilden Jagd.«
»Ich weiß noch viel zu wenig«, murmelte Maleen. »Könnten uns die Ragnarökk beistehen?«
»Oh, nein«, erwiderte der Grottenolm und fügte hinzu: »Das Wissen der drei blinden Feen war so weit wie die Welt, und ich werde dich alles lehren. Aber du musst dich um die Esche kümmern.«
»Zuerst sollen deine Herrinnen ihre letzte Ruhe finden«, sagte Maleen.
Der
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