Der Eiserne König
Grimbart. »Ich halte dich bestimmt nicht auf.«
Der Fuchs starrte ihn an. Dann bettete er den Kopf beleidigt auf die Vorderläufe und brummte: »Glaubst du ernsthaft, ich würde diese Menschen allein lassen? Ohne mich wären sie am Ende – verloren, aufgeschmissen und so gut wie tot.«
Der Dachs verdrehte die Augen und trottete zu den Bären.
Als der Scheiterhaufen der Feen nur noch aus schwelender Glut bestand, brach der lange Zug der Tiere auf. Viele waren verwundet und humpelten oder hinkten. Gefährten und Köhler sahen ihnen lange nach.
»Ohne die Tiere hätten wir es nie geschafft«, sagte Harlung.
»Wir werden es ihnen vergelten, indem wir alles tun, um den Eisernen König aufzuhalten«, sagte Hans.
Die Muhme biss skeptisch auf ihre Pfeife.
Maleen fegte am Rand des Scheiterhaufens erkaltete Asche auf, die sie im Wurzellabyrinth verstreute. Sie schöpfte mit einer Schale Wasser aus dem Heiligen Weiher und benetzte die Wurzeln. Danach ließ sie sich im Schneidersitz vor dem Eschenstamm nieder, um sich in sich selbst zu versenken. Sie schien alles ringsumher zu vergessen. Das klagende Knarren der Esche wurde leiser, das Laub fiel spärlicher, und der Olm tauchte aus dem dunklen, sternenglitzernden Wasser auf und wedelte mit den Kiemenbüscheln.
»Ich bin guter Hoffnung«, sagte er zu Meister Grimbart, der neben dem Weiher saß. »Die Welse haben klug entschieden, als sie dieses Mädchen zur neuen Hüterin ernannt haben. Sie nimmt ihre Aufgabe ernst.«
Der Dachs schwieg bedrückt. Er ließ seinen Blick am Stamm der Esche hinaufgleiten, der sich hoch oben im Zwielicht der Grotte verlor. Die Eichhörnchendame sprang von Ast zu Ast, als wäre alles in schönster Ordnung, obwohl viele Zweige verdorrt und kahl waren. »Ja«, erwiderte Meister Grimbart. »Aber was droht als Nächstes? Ich fürchte, das Schlimmste steht uns noch bevor …«
Der Gesang der Hexen erschallte in der Grabkammer, prallte von den Wänden ab, hallte durch Mark und Bein. Die Wesen der Wilden Jagd stimmten ein. Das auf der Brust des Toten liegende Schwert klirrte, sein Schuppenpanzer rasselte.
Die zuletzt erschienene Hexe nahm einen Schluck aus dem Kelch, beugte sich über den Eisernen König und träufelte das Blut der Feen aus ihrem Mund in den seinen. Je mehr sich der Kelch leerte, desto lebendiger wurde der Eiserne König. Die Finger öffneten und schlossen sich um den Schwertgriff, die Brust hob und senkte sich, seine Füße regten sich in den Panzerschuhen. Und während die Schwestern der schwarzen Zunft weiter sangen und die Wesen der Wilden Jagd weiter heulten, tauchte die Hexe einen Zeigefinger in den Kelch, strich Blut auf die Augen des Toten und malte ihm sein Zeichen auf die Stirn: Kreis, Quadrat und Dreieck.
Der Eiserne König öffnete die Augen. Sie leuchteten so kalt wie die Welt im tiefsten Winter.
Die Hexen verstummten. Das Geheul der Wesen der Wilden Jagd erstarb. Der Kelch fiel zu Boden und rollte klimpernd gegen die Wand.
Stille trat ein.
Draußen stand ein roter Mond über den Findlingen. In seinem Schein glichen die zerklüfteten Kalksteinfelsen rings um den Kessel blutigen Raubtierzähnen.
In der Grabkammer hob der Eiserne König die Arme. Er hob sie so langsam, als wären Bleigewichte daran befestigt. Wie die Hexen erschrocken feststellten, war sein schwarzer Bart während der langen Totenruhe in einen Spalt im Granit eingewachsen. Er konnte sich nicht erheben, denn seine eigenen Haare banden ihn auf das Lager.
Die Hexe, die ihm das Blut eingeflößt hatte, zog eine goldene Sichel aus ihrem Gewand.
Da sprach der Eiserne König die ersten Worte.
»N-nein«, flüsterte er mit einer Stimme, so hohl, als läge er in einem Sarkophag. »Ich … befehle …«
Die Hexe überhörte ihn und kappte den Bart mit einem Hieb.
»Weib«, hauchte der Eiserne König. »Was … hast du … getan?« Sein Bart reichte ihm nur noch bis zur Brust; die andere Hälfte lag auf dem Granit. Er griff nach dem Schwert, aber es entglitt seinen Fingern. Sein Kopf sank auf die Platte. Seine Augen schlossen sich, als wollte er wieder im ewigen Schlaf versinken.
Die Hexen fielen vor ihm auf die Knie. Sie drückten die Stirn auf den Boden. Sie pressten die Hände in den Staub. Dies war der einzige Tag in Jahrhunderten, an dem der Eiserne König erweckt werden konnte. Sie durften nicht versagen. In ihrer Verzweiflung stimmten sie uralte Opfergesänge an, verfasst in der Sprache der Ragnarökk, deren Wörter an Tierlaute
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