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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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bevorstand – auf sie wartete eine Bestimmung. Eine einsame Bestimmung. Und eine schwere Bürde. Aber sie wusste auch, dass sie nicht nur eine Aufgabe hätte, sondern auch so etwas wie Geborgenheit finden würde, wenn sie sich in ihr Schicksal fügte. Ja, sie hätte zum ersten Mal in ihrem Leben ein Zuhause, einen Ort, den sie ihr Eigen nennen konnte. Der blubbernde Singsang, den die Welse anstimmten, drang gedämpft an ihre Ohren. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals und wandte sich zur Muhme um, die ein paar Schritte hinter ihr stand, auf ihren Stock gestützt, die Pfeife im Mund und flankiert von Meister Grimbart und Reineke Fuchs.
    Die Muhme nickte ihr ermutigend zu.
    Am strahlend blauen Himmel zogen Schwalben dahin, und als Maleen ihre Augen rieb, sah sie einen Eisvogel, der wie ein blauroter Blitz über den Fluss schoss.
    Ein Glücksgefühl durchströmte sie.
    Der Blubbergesang der Welse verstummte.
    Und der alte Waller sprach: »Jungfrau Maleen, du bist reinen Herzens und eins mit der grünen Kraft der Erde, die unsere Feinde verderben wollen. Wenn du einwilligst, sollst du die Hüterin der Esche sein.«
    Maleen begann zu zittern. Sie spürte, wie sich der Kloß in ihrem Hals auflöste und als Tränen in ihre Augen traten. »Ja«, flüsterte sie heiser. »Ja, ich will.«
    »Dann komm in unsere Mitte«, sagte der Waller.
    Maleen watete bis zu den Hüften in das seichte Wasser vor der Südspitze des Werders. Die Welse umringten sie. Dann entließen sie das blaue Licht aus ihren Mäulern. Es strömte auf Maleen zu und hüllte sie ein. Sie zitterte, und Tränen liefen über ihre Wangen.
    »Zum Wohle der Esche, des Pfeilers unserer Welt«, sang der Waller mit tiefer, blubbernder Stimme, »wirst du an die Stelle der drei blinden Feen treten, die einer heimtückischen Hand zum Opfer fielen. Du wirst die Wurzeln der Esche benetzen und Leid von ihr abwenden. Zum Dank wirst du mit einem Leben beschenkt, länger als das eines jeden Sterblichen.«
    Nach diesen Worten schoss das blaue Licht über Maleen in die Höhe und formte sich zu einer Baumkrone. Ihr schmaler Mädchenkörper bildete den Stamm. Sie stand reglos da und verschränkte wie zum Schutz die Arme vor der Brust. Der alte Waller schwamm zu ihr und drückte sein breites Maul gegen ihren Bauch. Daraufhin wuchs der Baum aus blauem Licht in die Höhe, bis er die Wolken zu berühren schien. Schwalben flogen durch seine Krone.
    Die Muhme sah alledem schweigend zu, biss aber so fest auf die Pfeife, dass der Stiel knackte.
    »Die Esche hat eine neue Hüterin«, sagte Meister Grimbart hocherfreut.
    »Das ist … ergreifend«, schluchzte Reineke Fuchs. »Unsere gute Maleen. Ich wusste ja immer, dass sie ebenso viel für Bäume übrig hat wie ich.«
    »Du hast für Bäume bestenfalls deinen Blaseninhalt übrig«, brummte der Dachs.
    Doch der Fuchs, der die von den Welsen umringte Maleen wie gebannt anstarrte, überhörte diese Worte.
     
    Über der Feste stieg ein schwarzer Rauchfaden auf, der mit den Wolken nach Norden zog. Die Knechte verbrannten das erschlagene Ungeheuer auf dem Misthaufen hinter den Ställen. Auf Forken gestützt, sahen sie grimmig zu, wie das koboldartige, geflügelte Geschöpf mit dem Schuppenschwanz zerfiel.
    »Schweinemist riecht besser als dieser Rauch«, brummte ein Knecht.
    »Mörderisches Biest«, knurrte ein anderer. »Hat das Mädchen einfach niedergemetzelt.«
    »Die Wilde Jagd ist erwacht«, munkelte ein dritter. »Und bald erwacht auch der Eiserne König.«
    Die Knechte sahen schweigend zu, wie das Feuer schwelte. In den Ställen grunzten Schweine, Kühe brüllten, und Pferde ließen die Hufe gegen die Holzwände der Pferche knallen. Nachdem auch der letzte Knochen des Ungeheuers zu Asche geworden war, löste sich ein einzelner Rauchfaden vom Scheiterhaufen und verschwand rasch außer Sichtweite. Die Knechte begaben sich wieder in die Ställe, denn nach dem langen Schlaf musste dringend ausgemistet werden.
    Deshalb sahen sie nicht, wie sich der Rauchfaden am Himmel zur finsteren Wolke zusammenballte, die die Gestalt des toten Wesens annahm. Dem Welsfluss folgend, eilte es wie sein eigener Geist nach Norden. Die Fluren zwischen Flutwidde und dem Greting waren grau. Das Laub der Eichen Isarnhos, das für gewöhnlich bis zum Frühjahr rostrot an den Zweigen hing, wurde aschfahl und fiel. Der Geist des Wesens der Wilden Jagd überflog die Gipfel des Gretings und erreichte schließlich die Kalksteinfelsen, die das im Volksmund

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