Der Eiserne König
sein Blick durch einen rötlichen Schleier getrübt. Dann schien ein Licht auf, greller als die Mittagssonne. Grannen, Staub und Spelzen flogen durch die Luft wie beim Dreschen auf einer Tenne. Alles war von Surren, Sausen und Dröhnen erfüllt, und in Abständen erklang ein Stöhnen wie aus tausend gequälten Kehlen. Grimm wollte sich aufrichten, aber man hatte ihn auf eine Holzpritsche gebunden. Er ballte die Fäuste und riss vergeblich an den Lederriemen. Mit den Rubinen, die seine toten Augen ersetzten, sah er eine Gestalt. Sie verschwamm im gleißenden Licht. Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn. Sie fragte: »Erinnerst du dich an das Mädchen mit den grünen Augen?«
Grimms Blick wurde von Zorn und Hass getrübt, die in ihm aufstiegen wie schwarzer Rauch. Er nickte. Seine Zunge war bleischwer.
»Deine Kameraden sind in ihrem Feuer verbrannt«, sprach die Stimme. Eine Hand strich über seinen kahlen Kopf. »Wir haben dich wieder zum Leben erweckt, damit du sie rächst. Finde das Mädchen. Töte sie. Aber töte sie langsam. Sie soll leiden, bis sie ihr Schweigen bricht und ihre Schreie zum Himmel gellen. Und merke dir: Ab jetzt bist du ein Krieger des Eisernen Königs!«
Grimm knirschte mit den Zähnen. Seine Unterlippe bebte. »Ja«, stieß er hervor. »Ich räche meine Kameraden. Ich werde das Mädchen so langsam töten, bis sie ihr Schweigen bricht und ihre Schreie gen Himmel gellen.« Ihm wurde vor Hass schwarz vor Augen. Das grelle Licht erlosch. Surren, Sausen und Dröhnen verstummten. Die Gestalt verschwand. Grimm wurde wie von einem Strudel in die Ohnmacht gezogen.
Als er daraus auftauchte, lag er vor einem Weizenfeld. Kerbel und Kamille ragten neben ihm auf. Dicht vor ihm scharrte ein Rappe mit den Hufen, an dessen Sattel Schild und Schwert hingen. Grimm trug eine eisgraue Rüstung und einen Helm, der seinen Kopf ganz umschloss.
Er kam auf die Beine. »Ich lebe!«, dachte er. Dann fiel ihm das Mädchen mit den grünen Augen ein, und er begann, vor Zorn zu zittern. Als er sich wieder gefangen hatte, erblickte er sieben blondgelockte Jünglinge in goldener Rüstung. Sie warteten einen Steinwurf entfernt. Jeder hielt einen Schimmel am Zügel. Grimm schwang sich auf den Sattel des Rappen und ritt zu ihnen. Sie verneigten sich vor ihm und sagten wie aus einem Mund: »Wir sind bereit, Herr.«
Grimm schwieg. Er gürtete sich mit dem Schwert und zog es blank. Die zweischneidige Klinge blitzte im Mittagslicht. Er wusste nicht, wem er sein Leben verdankte, aber er würde seine Schuld begleichen. »Wir suchen ein Mädchen«, sagte er. »Ein Mädchen mit grünen Augen und einem verschlungenen Muster auf dem Rücken. Sie hat meine Männer getötet. Nun werden wir sie töten. So langsam, bis sie ihr Schweigen bricht und ihre Schreie gen Himmel gellen.« Er steckte das Schwert ein und ließ den Blick über die sieben Jünglinge gleiten. Sie waren schön, aber die Falten um den Mund zeugten von Grausamkeit. Sie lächelten bei seinen Worten.
»Aufsitzen!«, befahl Grimm.
Die Jünglinge sprangen mit einem Satz in den Sattel.
Dann preschten die acht Reiter los. Der Staub, den die Hufe ihrer Rösser aufwirbelten, hing noch lange in der Luft.
4. Meister Grimbart
Der Mensch hatte zwar geschieden, was früher eins gewesen war, aber mit den Tieren war nach wie vor zu rechnen. Sie spürten seit langem, dass in Pinafor etwas im Argen lag, und waren tief besorgt. Sie hatten kurz nach der Auslöschung der Räuberbande Rat gehalten und beschlossen, zu handeln. Natürlich hatte niemand selbst etwas tun wollen, weder Bär noch Hirsch oder Wolf, aber man hatte sich darauf geeinigt, einen alten Haudegen in die Schlacht zu schicken.
Man zog Strohhalme. Der Fuchs musste sich auf den Weg machen, um den Auftrag zu übermitteln. Er ärgerte sich, weil er den kürzeren gezogen hatte. Außerdem wusste er, was ihm blühte. Meister Grimbart, der von seinem Glück nichts ahnte, konnte ausgesprochen mürrisch sein. Manche Tiere, vor allem solche, die ihm den Ruhm neideten, nannten ihn sogar einen Kotzbrocken. Seine Tage als Kämpe waren lange her, aber er war den anderen Tieren als Einziger eingefallen; um seine Heldentaten rankten sich Legenden, und er genoss den Ruf, nichts und niemanden zu fürchten. Im Krieg gegen die schwarzen Wölfe hatte er angeblich sieben auf einen Streich getötet.
Der Fuchs bummelte, denn er hatte wenig Lust, und raubte ab und zu ein Huhn auf einem der Gehöfte. Die Bauern waren so mit sich selbst
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