Der Eiserne König
umdrehte, sah er die Welse. Sie hoben das Maul und ließen eine Welle aus blauem Licht auf das Ufer branden, die die Angreifer zurückwarf. Karontiden röhrten, Raubritter krümmten sich, und die Wilde Jagd wurde durcheinandergewirbelt.
»Werft die Rüstungen ab und springt in den Fluss!«, rief der alte Waller. »Wir können sie nur kurz aufhalten!«
Helmdag zögerte, doch als er sah, dass sich die Feinde rasch erholten, befahl er: »Weg mit den Waffen. Ab in den Fluss.« Er löste die Schnallen der Rüstung, riss das Banner von der Stange, damit es dem Feind nicht in die Hände fiel, und floh mit seinen Getreuen im Schutz einer zweiten Welle aus blauem Licht in die Fluten. Die Welse reckten ihnen den Rücken entgegen, und sobald alle Männer aufgesessen waren, schwammen sie so rasch wie möglich stromaufwärts.
Am Ufer brüllten wütende Karontiden. Die Wilde Jagd nahm die Verfolgung auf, aber die Welse bildeten mit ihrem blauen Licht einen Schutzwall um Helmdag und dessen Mannen, an dem die Ungeheuer abprallten. Sie folgten den Flüchtigen mit frustriertem Kreischen, kehrten nach einer Weile aber wie auf Kommando um.
Helmdag, der auf dem Rücken des alten Wallers saß, sah zu, wie sich die Wilde Jagd in der Ferne verlor. Dann sagte er: »Überrumpelt, aufgerieben, in alle Winde zerstreut. Hilck wird nicht erfreut sein, wenn er das erfährt.« Er ließ den Blick über die Schar gleiten, die ihm geblieben war und zu beiden Seiten auf den Welsen das Wasser durchpflügte.
»Noch ist nicht aller Tage Abend«, blubberte der Waller. »Noch hat der Eiserne König nicht gesiegt. Noch kann sich alles zum Guten wenden.«
Helmdag schwieg. Der Welsfluss rauschte, Gischt sprühte ihm ins Gesicht. Er hatte eine Niederlage erlitten und seinen Heerbann verloren, und es kam ihm vor, als würde sich die Einöde, die Pinafor seit der Erweckung des Eisernen Königs war, auch in seinem Inneren erstrecken.
Die Sonne tauchte kurz zwischen den Wolken auf, als der Hügel mit dem Haus der dreizehn weisen Weiber in Sicht kam. Die Gefährten, stets auf der Hut vor dem Feind, hatten einen weiten, beschwerlichen Weg hinter sich.
»Das wird eine Hungersnot zur Folge haben«, sagte Sneewitt und zeigte auf den schwarzen Matsch, zu dem das Getreide verfault war. Vogelscheuchen standen wie Mahnmale auf den Feldern, und Krähen kreisten auf der Suche nach Aas am Himmel. Das fruchtbare Flutwidde war nur noch ein Schatten seiner selbst.
Der Aufstieg zum Haus führte die vier Gefährten an den mit Zwitterwesen geschmückten Stelen vorbei, die sich zwischen Ginsterbüschen und Birken verbargen.
»Das ist die Wilde Jagd«, sagte Kunz. »Seltsam, dass die Weiber den Weg zu ihrer Hütte mit solchen Ungeheuern dekorieren.«
»Die Stelen sind uralt«, erwiderte der Dachs. »Und der Hügel war seit jeher ein geheimnisumwobener Ort. Hier haben die Reifriesen die Welt angeblich dem Dunkel entrissen. Hier sollen jene Ragnarökk in die Finsternis zurückgestürzt sein, die schließlich zur Wilden Jagd wurden.«
»Wie beruhigend«, murmelte der Fuchs.
Im Gegensatz zu Hans, der noch über die korngelben Fluren Flutwiddes hatte staunen können, bot sich den Gefährten auf dem Hügel ein trostloses Bild: Das Land breitete sich grau und schwärzlich unter ihnen aus, der Himmel war wie aus Blei. Sneewitt klopfte an die Tür des Fachwerkhäuschens. Als ein Kultknecht öffnete, zuckte sie unwillkürlich zurück und griff nach ihrem Dolch.
»Nicht so hastig«, flüsterte Kunz. »Die Verräterin ist Barbera. Und sie hat bestimmt nicht alle Kultknechte auf ihre Seite ziehen können.«
»Immer nur herein«, sagte der Kultknecht – zweideutig, wie die misstrauische Sneewitt fand – und hielt ihnen die Tür auf.
Sobald sie eingetreten waren, wuchs das Häuschen wieder zu ungeahnten Dimensionen an, und sie standen in der hohen, von Kandelabern erhellten Halle. Auf der Freitreppe warteten schon die weisen Weiber, alle in Schwarz und alle dunkel verschleiert. Der Dachs fragte sich, warum sie trauerten. Wegen der Verheerung Flutwiddes?
Das älteste weise Weib humpelte an die Balustrade und sagte: »Sieh da – zwei der Hallodris, die der schwangeren Bäuerin den Melkschemel unter dem Hintern weggetreten haben. Was ist euer Begehr?«
»Wir bringen Euch den Bart des Eisernen Königs«, erwiderte Kunz. »Diese beiden braven Tiere haben ihn aus der Grabkammer geborgen. Eine Ragnarökk hat sie angewiesen, ihn zu jenen zu bringen, die wissen, was damit zu tun
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