Der Eiserne König
gegeneinanderstießen, erinnerte ihn ungut an die Asseln und Spinnen, die sich in der Grabkammer auf ihn gestürzt hatten. Auf seinem Nacken sträubte sich wieder die Schwarte.
Schließlich blieben die Hände der Ältesten reglos in der Luft hängen. Ihre Finger krümmten sich zu Krallen. Sie legte den verschleierten Kopf in den Nacken. Ihrer Kehle entwich ein Ächzen, das ihren mageren Körper wie in höchster Erregung schüttelte. Einen Herzschlag später schwollen die Adern auf ihren Handrücken an, und der Bart ging in Flammen auf. Die restlichen Weiber erwachten aus ihrer Andacht und krächzten Beschwörungen. Schon bald war das Gemach vom Gestank verschmorter Haare erfüllt. Sneewitt drückte sich einen Ärmel vor die Nase und behielt das älteste weise Weib im Blick, das nun wie erstarrt dastand und die Krallenfinger in die Flammen hielt, als könnten ihr diese nichts anhaben.
So ging es eine Weile, als wäre die Zeit angehalten worden. Nachdem das Feuer erloschen und der Qualm verflogen war, trat die Älteste von der Schale zurück. Alle verstummten und senkten den Kopf. Dann entrang sich ihren Kehlen ein tiefer Seufzer. Ihre Busen bebten so ungestüm, dass die Gewänder wehten. Sie krümmten und schüttelten sich und holten tief Luft, als wollten sie den allerletzten Hauch des Rauches in sich aufnehmen.
»Es ist getan«, flüsterte das älteste weise Weib. »Der Bart ist zu Asche geworden. Unser Feind hat einen Teil seiner Kraft verloren. Gepriesen sei die reinigende Kraft des Feuers!«
»Gepriesen! Gepriesen!«, riefen die Weiber im Chor.
Die Farben im Gemach verloren ihre Sattheit. Der Kultknecht öffnete die Läden dreier Fenster. Gemeinsam mit der kühlen, frischen Luft drang das Schwarz der Nacht in den Raum und schmiegte sich an die Weiber.
»Geht nun zu Bett«, sprach die Älteste, »und schlaft beruhigt. Brecht morgen zu den Gografen auf und teilt ihnen mit, dass ihr Sieg ein Stück näher gerückt ist.« Nach diesen Worten verließ sie das Gemach mit ihren Schwestern durch eine geheime Tür.
Kunz atmete auf. Sneewitt starrte die Asche des Bartes an; ein letzter Rauchfaden stieg aus der Schale auf und verlor sich im Dunkeln. Die Kerzenflammen zuckten, als hätte sie etwas erschreckt. Reineke Fuchs, sonst so furchtsam, sprang auf und folgte den Weibern. Er erreichte die Geheimtür, kurz bevor sie sich schloss, witterte mit gereckter Schnauze und winselte halblaut. Dann kehrte er mit eingeklemmter Lunte zu seinen Gefährten zurück.
Sneewitt lief im Zimmer unruhig im Kreis. »Haben die Weiber nicht gemerkt, dass wir ihnen einen falschen Bart untergejubelt haben?«, fragte sie. »Oder haben sie gute Miene zum bösen Spiel gemacht?«
»Sie nennen den Eisernen König ›Feind‹«, erwiderte der im Himmelbett liegende Kunz. »Und sie sagen, dass er nach dem Verbrennen des Barts einen Teil seiner Kraft eingebüßt habe. Ich glaube, dass sie nichts gemerkt haben und nach wie vor auf unserer Seite stehen.«
»Früher hast du anders geredet«, sagte Sneewitt. »Hat dich die Alte eingelullt?« Sie sah Kunz an und setzte hinzu: »Dreh dich um. Ich ziehe mich jetzt aus und gehe auch zu Bett. Bleib ja auf deiner Seite.«
»Glaubst du, ich wäre scharf auf eine Frau mit einem Gesicht, das immer noch aussieht, als hätte sie sich im Schminktopf an den Farben vergriffen?« Er zog die Daunendecke so hoch, dass nur noch sein brauner Lockenschopf zu sehen war. »Wir kennen uns seit einer Ewigkeit«, brummte er pikiert. »Warum sollte ich auf einmal den Lustmolch spielen?«
Sneewitt zuckte mit den schneeweißen Schultern. »Man weiß nie«, sagte sie und schlüpfte unter die Decke. »Gute Nacht.«
»Ja, gute Nacht«, murmelte Kunz. Er sah zum Baldachin auf, der mit dem Bild einer Nixe bestickt war, und dämmerte ein.
Nur der Fuchs grübelte noch. Er war beunruhigt, weil er sich einbildete, Barbera hinter der Geheimtür gewittert zu haben. Ihr süßlich scharfer Duft, eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, war unverkennbar. Er hatte seinen Gefährten nichts davon erzählt, weil er sie nicht beunruhigen wollte; vielleicht hatte er sich ja verrochen. Trotzdem ließ ihm die Sache keine Ruhe, denn wenn Barbera wirklich hier war, wäre die Trauer der Weiber eine Farce, und die Verbrennung des Bartes wäre eine Schmierenkomödie gewesen, aufgeführt, um die Gäste einzulullen oder gar in eine Falle zu locken. Er musste der Sache auf den Grund gehen.
Alle schliefen, und Sneewitt hatte trotz ihrer barschen
Weitere Kostenlose Bücher