Der Eiserne König
Gewölbe eine Mädchenstimme. Der Fuchs spitzte die Lauscher, konnte im Kampflärm aber nichts verstehen. Die glockenhelle Stimme erklang erneut, und die weisen Weiber drehten sich zu den Frauen um, die an den Spinnrädern saßen.
»Wer ruft da?«, fragte Meister Grimbart.
»Ich schaue nach«, sagte der Fuchs und huschte, obwohl er noch hinkte, flugs zwischen den Weibern durch die Tür und von dort auf den Laufgang. Er sah auf den ersten Blick, wer es war – das Mädchen mit den veilchenblauen Augen und kastanienbraunen Locken. Sie hatte die Hände um den Mund gelegt und rief: »Rumpenstünz!«
»Oh, nein …«, hauchte der Fuchs. Dann sah er Barbera, die mit hoch erhobener Peitsche auf das Mädchen zurannte.
»Wirst du wohl still sein?«, brüllte sie. »Halt den Mund, oder ich züchtige dich, bis deine Haut in Fetzen liegt!«
»Ruuump-eeen-stüüünz!«, rief das Mädchen.
Barbera eilte durch die Reihen der Spinnräder. Da begriffen die übrigen Frauen, dass der Ruf eine Gefahr für ihre Peiniger darstellte, und sie erwachten aus ihrer Abgestumpftheit. Zwei oder drei hoben die Kette. Barbera stolperte und stürzte auf ein Spinnrad. Eine Frau zerbrach den Griff der Peitsche und trat Barbera zu Boden, eine zweite schlang ihr den Riemen um den Hals und begann, sie zu würgen. Andere stimmten in den Ruf des Mädchens ein: » RUUUMP-EEEN-STÜÜÜNZ !«
Reineke Fuchs hörte entgeistert, wie der Name immer lauter erschallte. Er wusste, was passieren würde – Kunz würde sich zerreißen –, und flitzte zur Münze. Dort wehrten sich die zwei Gefährten mit schwindender Kraft gegen die Übermacht der Kultknechte. Kunz holte gerade zu einem Hieb aus, als er den Ruf vernahm. Sein blutbespritztes Gesicht erbleichte. »Das hat euch … hat euch der … der Teufel gesagt!«, brüllte er. »Der Teufel! Aaahaaargh!«
Sneewitt packte ihn bei den Schultern, aber er schüttelte sie ab und griff, ohne das Schwert loszulassen, in seine Locken. Da hörte er die glockenhelle Stimme des Mädchens aus dem Ruf heraus und hielt mitten in der Bewegung inne. Er strahlte vor Glück. Im nächsten Moment schlug seine Stimmung um – er knurrte kehlig und zog eine wölfische Grimasse. »Der Königin ihr Kind!«, schrie er mit vor Verzweiflung und Sehnsucht überschnappender Stimme. »Ich komme!« Er durchschlug die lange Kette, die alle Mädchen miteinander verband. Dann brüllte er: »Knüppelsackattack!« Hardts Knüppel flog aus dem Sack und schlug auf die Kultknechte ein, die sich erschrocken duckten. Kunz nutzte die Verwirrung und griff sie mit wilden Schwerthieben an. Der Oberknecht rief Befehle, aber seine Männer, durch den tobsüchtigen Kunz und den Zauberknüppel von abergläubischer Furcht ergriffen, gehorchten nicht. Auch die Weiber gerieten in Panik. Sie wollten in das große Gewölbe fliehen, aber als sie sahen, dass Barbera mit den zornigen Frauen rang, zwängten sie sich hinter den Kultknechten in die Münze, wo sie sich neben dem Tiegel mit flüssigem Gold in eine Ecke drängten und Sprüche zu murmeln begannen.
Die bebende Sneewitt sah zu, wie Kunz, durch seinen wahren Namen zur Raserei getrieben, ein Gemetzel anrichtete. Dann hatte sie eine Eingebung. »Helft mir!«, rief sie den Mädchen zu, die sich gerade von der Kette befreiten, griff nach einem Schöpflöffel und versuchte, den großen Tiegel umzustoßen. Die Mädchen sprangen ihr bei. Der Tiegel wankte. Dann kippte er um. Das Gold ergoss sich auf den Boden und floss auf die nichtsahnend vor sich hinmurmelnden weisen Weiber zu. Als es ihre Füße erreichte, verstummten sie entsetzt. Ein Knistern erklang, ein Brutzeln, dann kräuselte Rauch an den schwarzen Gewändern hinauf. Die Weiber kreischten und jaulten und wollten fliehen, aber die Mädchen trieben sie mit den Waffen der erschlagenen Knechte zurück.
»Bleibt, wo ihr seid, Verräterinnen!«, schrie Sneewitt, die den Schöpflöffel schwang. Die Weiber konnten sich bald nicht mehr rühren, weil ihre Füße im erkaltenden Gold steckten. Sie rissen Hauben und Schleier ab, zerfetzten in ihrer Qual die Gewänder. Tränen strömten über ihre Wangen, Speichel troff aus Mundwinkeln, ihr Wehklagen übertönte Kampflärm und »Rumpenstünz«-Rufe. Die Luft war von einem Gestank nach verbranntem Fleisch und verkohltem Stoff erfüllt.
Währenddessen versuchte Barbera im großen Gewölbe, ihre Haut zu retten. Sie wehrte sich mit Klauen und Zähnen und benutzte die Spindel des kaputten Spinnrads als Waffe. Die
Weitere Kostenlose Bücher