Der Eiserne König
geschwächten, ausgemergelten Frauen schafften es nicht, sie zu überwältigen, riefen aber weiter »Rumpenstünz!«, als wäre der Name eine Zauberformel.
Barbera bahnte sich einen Weg zu dem Mädchen, das den Ruf angestimmt hatte. Sie war fast am Ziel, als Kunz in der Tür zur Münze erschien. Er war blutüberströmt und mehrfach verwundet, verspürte in seiner Raserei aber keinen Schmerz. Barbera schürzte bei seinem Anblick spöttisch die Lippen und ging auf das Mädchen zu, die Spindel wie einen Dolch in der Hand. Da sauste Hardts Knüppel auf sie zu und begann, auf ihren Rücken einzudreschen. Sie ergriff schreiend die Flucht, trat und stieß die Frauen weg, die sie aufhalten wollten, sprang über die grausig zugerichteten Kultknechte in die Münze und hastete zur Rückwand.
Sneewitts ganze Aufmerksamkeit galt den im erstarrten Gold festsitzenden Weibern. Deshalb bemerkte sie Barbera erst, als sich diese mit gespreizten Beinen und ausgebreiteten Armen gegen die Wand presste. Sie hörte noch, wie Barbera mit in den Nacken geworfenem Kopf ein Wort in einer kehligen Sprache rief; sie sah noch, wie Barbera die groben Feldsteine an einer bestimmten Stelle küsste; sie rannte los, als sich die Wand öffnete; aber sie kam zu spät – Barbera war fort, und nichts deutete mehr darauf hin, dass es hier einen Durchgang gab. Sneewitt überließ die Weiber der Obhut der Mädchen und eilte in das große Gewölbe. Dort hockten die Frauen erschöpft vor den Spinnrädern. Viele weinten, einige bluteten aus Stichwunden. Alle waren verstummt, und die Stille hatte Einzug gehalten.
Kunz, der den Knüppel wieder in den Sack befohlen und den Zweihänder abgelegt hatte, kniete vor dem Mädchen mit den veilchenblauen Augen und kastanienbraunen Locken, den Kopf gegen ihren Bauch gedrückt und beide Arme um ihre Taille geschlungen.
29. Auch die Ewigkeit hat ein Ende
Nachdem Frauen und Mädchen befreit worden waren, versperrten sie die in das Haus der weisen Weiber führende Tür mit Goldsäcken gegen die Kultknechte und begannen, die Rückwand der Münze mit Blankwaffen und Werkzeugen zu bearbeiten, um den Tunnel freizulegen, durch den Barbera verschwunden war.
»Ist diese süße Kleine wirklich der Königin ihr Kind?«, fragte Reineke Fuchs. Er sah zu Kunz, der wie tot in einer Ecke lag. Neben ihm saß das Mädchen und wachte über seinen Schlaf. Beide ähnelten sich tatsächlich wie ein Ei dem anderen.
»Sie hat erzählt, dass der Jäger es damals nicht über das Herz gebracht habe, sie zu töten«, antwortete der Dachs. »Er hat sie stattdessen einem Landmann in Flutwidde übergeben, der sie wie seine eigene Tochter großzog. Jahre später …«
»Es gibt noch gute Menschen«, schniefte der Fuchs.
Der Dachs sah ihn grimmig an und fuhr fort: »Jahre später hat der Jäger sie noch einmal aufgesucht, um sie über ihre wahre Herkunft aufzuklären. Er konnte sich an den Namen ihres Vaters erinnern – Rumpenstünz …«
»Und die böse Königin? Was ist mit ihr?«
»Sie wurde verrückt. Hat sich in einem Turm eingeschlossen und irgendwann einen Fliegenpilz zu viel gefuttert. Seitdem ist sie hinüber.«
»Ich mag Geschichten, die gut ausgehen«, seufzte der Fuchs. »Hier, in diesem düsteren Gewölbe, finden Tochter und Vater wieder zueinander, mitten zwischen abgefeimten Schurken und in einer Zeit, in der das Schicksal Pinafors auf Messers Schneide steht und arglistige Feinde, die in jeder Ecke lauern, finstere Ränke schmieden und …«
»Schluss mit dem Gesülze, du Held«, blaffte der Dachs.
Der Fuchs stand beleidigt auf und trottete am umgekippten Tiegel vorbei zu Sneewitt, die bei den weisen Weibern stand. »Haben sie geredet?«, fragte er.
Die in einer knöchelhohen Goldschicht festsitzenden Weiber schwankten hin und her. Sie hatten ihre Gewänder zerfetzt und die Schleier abgerissen, so dass das Schandmal auf der Stirn zu sehen war.
»Nein«, sagte Sneewitt. »Sie jammern nur.«
Das älteste weise Weib bog die Finger zu Krallen, in ihrem Blick lag tödliche Wut. »Verderbt und verreckt!«, fauchte sie. Dann erzitterte sie am ganzen Körper, riss den Kopf zurück und wollte auf die Knie fallen, was ihr aber nicht gelang, weil die Füße im Gold steckten. Als sie sich wieder aufrichtete, wich Sneewitt einen Schritt zurück, denn plötzlich stand eine mit Amuletten behängte, in Lumpen gehüllte Hexe mit geifertriefenden, bläulichen Lippen vor ihr.
»Lasst uns frei!«, greinte sie. »Gegen Edelmetall sind
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