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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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Grimbart. »Gut, dass wir mit halbwegs heiler Haut entkommen sind.«
    »Oh, ja«, erwiderte Reineke Fuchs. »Trotzdem hätte ich gern gewusst, was die Weiber in den vielen Truhen und Schränken aufbewahren. Vielleicht Vorräte? Was meinst du?«
    Wäre er noch im Haus gewesen, das so unscheinbar, harmlos und klein auf dem Hügel stand, dann hätte er es erfahren, denn wie als Antwort auf seine Frage wurden Schränke und Truhen von innen aufgeklappt. Haarige, kräftige Geschöpfe entstiegen ihnen. Sie irrten durch die Flure, heulten wie Säuglinge nach den Weibern und stemmten sich schluchzend gegen die Tür zum Gewölbe, die von innen durch Goldsäcke versperrt war. Am Ende sanken sie so verzweifelt zu Boden, als müssten sie ohne ihre Herrinnen sterben.
    »Geschirr, Besteck, Leinen, Schmuck«, antwortete der Dachs. »Seide und Spitzen. In solchen Möbelstücken horten Frauen, was ihnen lieb und teuer ist.«
    »Du hast sicher recht«, sagte der Fuchs. »Man muss ja nicht überall dunkle Geheimnisse wittern.«
    Die zwei Tiere trotteten zu ihren Gefährten. Kunz legte einen Arm um seine Tochter. »Sie heißt Alwine«, verkündete er strahlend, aber man spürte, dass er sich erst an die Rolle als Vater gewöhnen musste. »So wurde sie von der Familie des Landmanns genannt, in der sie aufgewachsen ist.«
    »Mein Stiefvater heißt Butterbrumm«, ergänzte Alwine.
    »Alwine Butterbrumm«, hechelte der Fuchs. »Bezaubernder Name.«
    »Ja, klingt wirklich ganz entzückend«, knurrte der Dachs.
    »Sie nennt mich R… R… Rumpenstünz«, stieß Kunz hervor, als müsste er einen Knorpel ausspucken. »Und ich bitte euch, es ab jetzt ebenso zu halten.«
    »Aber nur, wenn es keine blutige Schweinerei gibt«, mahnte Sneewitt.
    »Nein, nein«, erwiderte Kunz lachend.
    »Na, dann –
Rumpenstünz
«, sagte Sneewitt und knuffte ihn kumpelhaft gegen die Schulter.
    Im Laufe des Vormittags schleppten sich die Frauen davon, um zu ihren Familien zurückzukehren, und die Gefährten beschlossen, zu den Gografen zu stoßen. Denn wie Meister Grimbart so richtig bemerkte: »Die letzte Schlacht ist noch nicht geschlagen.«
     
    Ein silbriges Zwielicht erfüllte die Grotte im Greting. Hin und wieder fiel ein verdorrter Zweig in die Stille, manchmal knarrte der Eschenstamm. Die Eichhörnchendame flitzte über Stock und Stein und Moderlaub. Sie huschte unter Wurzeln durch, die sich gegen ihr Schicksal aufzubäumen schienen, sich ineinander verschlangen und in das Erdreich eindrangen, als wollten sie allem entfliehen. Als die Eichhörnchendame die Mitte des Wurzellabyrinths erreichte, hüpfte sie auf einen Ast, um über Maleen zu wachen, die blind und taub für die Welt vor dem gewaltigen Stamm saß.
    Maleen wusste, dass die Esche mit dem Fall des letzten Blattes sterben würde, und das Laub lichtete sich mit jedem Tag, der verrann, ohne dass man den Eisernen König besiegt hatte. Allein die Tatsache, dass er auf Erden wandelte, ließ die grüne Kraft erlahmen: Grau war die Farbe Pinafors, sogar im Herbst, der sonst mit Rot und Gold prunkte. »Sprich mit der Esche«, hatte ihr der Grottenolm geraten. »Du musst sie ermutigen.«
    Also begab sich Maleen auf den Weg in ihr Inneres. Ihre nach außen reglose Gestalt verriet nichts von den Gefahren, die sie auf sich nahm: Sie musste die Schichten des Geistes durchmessen, die ihre Seele umhüllten und in denen sich Ängste, Erinnerungen, Wünsche und Hoffnungen verbargen; sie musste sich ihren Dämonen stellen, die sie nicht besiegen, sondern nur vorübergehend bannen konnte, indem sie sich ihren Fratzen stellte und ihnen in die Augen sah; sie musste bis zu dem leeren, lichten Ort in ihrem tiefsten Inneren vordringen, an dem die Lebenskraft zu Hause war. Nur dort konnte sie mit dem Wesen sprechen, das sich in der Esche verkörperte – ein Wesen, alt wie die Welt und sowohl Vater als auch Mutter von allem, was war; ein Wesen, das seit Urzeiten Leben zeugte. Nun schädigte es sich selbst wie ein Tier, das in einer ausweglosen Falle saß, Wut und Trauer gegen sich selbst richtete und dadurch schwächte. Trotz der Macht, über die es gebot, konnte es sich aus dieser Verstrickung nicht lösen. Denn die Furcht hatte die Oberhand über die Hoffnung gewonnen.
    Maleen sah das Wesen nicht, aber seine Gegenwart erfüllte sie mit Ehrfurcht, und in seiner Stimme, die früher durch die drei blinden Feen in den Winden Pinafors geflüstert hatte, raschelte Herbstlaub, knirschte Wintereis, sangen Vögel, summten

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