Der Eiserne König
Esche leidet. Die grüne Kraft stockt. Neulich …« – er zeigte auf mehrere verkohlte Eichen – »… ist zum ersten Mal seit langem ein Meiler durchgegangen. Alles stand in Flammen.«
»Aber niemand weiß, wo die Esche wurzelt. Auch wir nicht«, fügte ein Köhler mit dunklem, struppigem Schopf hinzu.
Die Gefährten schwiegen entmutigt, während das Dunkel aus den Schluchten des Gretings kroch. Am Feuer herrschte reges Kommen und Gehen, denn die Windzüge der Meiler mussten immer wieder überprüft werden, damit die Temperatur gleich blieb.
»Ihr kennt den Greting wie eure Westentasche und wisst nicht, wo die Esche wurzelt?«, fragte Kunz schließlich. »Das ist kaum zu glauben.«
»Aber wahr«, erwiderte Harlung.
»Wir haben sie immer wieder gesucht«, sagte der Köhler mit den struppigen Haaren. »Aber es ist, als wäre sie durch einen Zauber geschützt.«
»Gut möglich«, bemerkte die Muhme, die lieber eine Pfeife rauchte als die dünne Suppe zu löffeln. »Im Kryptonomicon heißt es: ›Die heilige Esche aber findet nur der Sehende, der sich seiner Sicht begibt.‹«
»Das Kryptonomicon scheint nur aus krausem Geschwurbel zu bestehen«, murrte Sneewitt. »Haben seine Verfasser bei der Niederschrift auch diese Pilze geraucht?« Sie zeigte auf die Pfeife.
Die Muhme sah sie grimmig an.
»Wie dem auch sei«, sagte Harlung. »Wir teilen eure Sorge. Die Gografen haben niemanden geknechtet oder ausgebeutet. Sie sind gute Herrscher. Wir alle …« – er schwenkte einen Arm über die anderen Köhler – »… befürchten, dass ein Umsturz droht. Manche munkeln, dass der Eiserne König am Tag der Ruhelosen Seelen erwachen wird. Und mit ihm die Wilde Jagd.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern: »Er wird Pinafor wieder in Blut ertränken …«
»Abergläubischer Unsinn«, sagte Kunz.
»Ach?«, brummte Horn. »Der Eiserne König … Sein Grab befindet sich ganz in der Nähe, nicht wahr?«
»Im Königskessel am Westrand des Gretings«, murmelte der Köhler mit den struppigen Haaren. »Aber das ist Unland. Wir haben es immer gemieden.«
Sneewitt sah Sanne an und hob eine Augenbraue. Dann sagte sie spöttisch: »Ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, endlich unter so klugen und mutigen Männern zu sein.«
»Dein Weib hat ein loses Mundwerk«, sagte Harlung zu Hans, ohne Sneewitt aus den Augen zu lassen.
»Ich bin nicht sein Weib«, erwiderte sie.
»Seines?«, fragte Harlung und zeigte auf Hardt.
Der zupfte peinlich berührt am Kinnbart.
»Niemandes«, fauchte Sneewitt.
»Du könntest mein Weib werden«, sagte Harlung.
Die spitzzüngige Sneewitt war verblüfft. Sie sah von einem Gefährten zum anderen; Horn meinte, Rührung in ihrem Blick zu erkennen. Dann sagte sie: »Sehr freundlich … aber ich …«
»Ah!«, rief Harlung und schwenkte einen Zeigefinger. »Ich weiß schon: Dein Herz ist vergeben, nur weißt du noch nicht, an wen.«
Sneewitt wurde so rot wie ein reifer Apfel. Sie starrte in ihren Schoß. »Unsinn«, murmelte sie. »Blödsinn.«
Die Muhme kicherte leise.
Harlung ließ Kartoffelschnaps holen, und während sie Krug um Krug leerten, erörterten sie hitzig, aber ergebnislos, wer hinter all dem Unheil steckte und wie ihm zu begegnen sei. Maleen schlief derweil in einer Kothe, die ein Köhler für sie geräumt hatte.
Als Hans sich hingelegt hatte und zum Himmel aufsah, schienen die Sterne einen Tanz aufzuführen; sie ordneten sich zu immer neuen Mustern, die ihn an die Karte auf Maleens Rücken erinnerten. »Wo ist … die Esche?«, lallte er. »Wo ist … sie?« Das Letzte, was er vor dem Einschlafen wahrnahm, war der Dachs, der ihn mit der Schnauze bestupste.
»He, Anführer«, raunzte Meister Grimbart. »Wir sind einem Eichhörnchen begegnet, das angeblich weiß, wo die Esche zu finden ist.«
»Wenn du mich fragst, ist das nur dummes Geschwätz«, sagte Reineke Fuchs.
»Oh …«, stöhnte Hans. »Ich bin blau … Mir ist schlecht …«
»Noch so ein Held!«, grollte der Dachs. »Wir arbeiten, und er besäuft sich. Das hat man gern.«
Trunkenheit und Müdigkeit stießen Hans kopfüber in den Schlaf.
»Wir hätten ihm erzählen sollen, dass Kultknechte den Wald nach uns durchkämmen«, sagte der Fuchs. »Vielleicht haben sie dieses Lager schon entdeckt.«
»Zu spät«, erwiderte der Dachs. »Aber die Muhme ist noch wach. Gehen wir zu ihr. Ich will auch einen heben.«
Der Fuchs seufzte genervt. Aber er folgte dem Dachs zum Feuer.
»Möge die Sonne
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