Der Eiserne König
Jungfer«, ergänzte Grauklaue. »Die alte Blutsäuferin hat es auf die Köhler abgesehen. Aber das ist sicher nicht der wahre Grund für ihre Anwesenheit.«
»Oh, nein«, sagte Schwarzborste. »Die Esche schwächelt. Wir merken es an den Bäumen, die weniger Eicheln tragen. Die Fruchtbarkeit von Erde und Pflanzen schwindet.«
Sie schwiegen bedrückt, während die Bachen einen kehligen, von Grunzlauten durchsetzten Trauergesang anstimmten. Der Fuchs sah zum Wolfsfelsen, wo die Gefährten den von einem Pfeil getroffenen Kultknecht verhörten.
Hans bemerkte den Blick von Reineke Fuchs und winkte. Dann wandte er sich wieder dem Kultknecht zu. »Was habt ihr mit Grimm zu schaffen?«, fragte er. »Warum wendet ihr euch gegen uns? Wir waren im Auftrag
eurer
Herrinnen unterwegs.«
Der gefesselte Knecht starrte zu Boden. »Wir befolgen nur Befehle«, murrte er. »Wir sind gehorsame Diener.« Er lehnte am Wolfsfelsen, hinter dem der Welsfluss durch sein enges Bett brauste.
»Das ist die Ausrede aller Mörder«, sagte Sanne.
»Ich bin kein Mörder«, murmelte der Kultknecht.
»Rede!«, schrie Kunz. »Warum hattet ihr, als Leibwächter der weisen Weiber, den Auftrag, Maleen zu verschleppen?«
Der Kultknecht schwieg.
»Verstockter Kerl!«, brüllte Kunz und schlug ihn ins Gesicht.
Hans packte seinen Arm. »Lass das«, sagte er. Er gab seinen Gefährten einen Wink, und sie folgten ihm außer Hörweite des Gefangenen. »Halten wir uns an das Offensichtliche«, begann er und ließ seinen Blick über die Klippen schweifen, auf denen die Frau verschwunden war. »Die Kultknechte der dreizehn weisen Weiber dienen Grimm. Sie wollten Maleen töten. Sie scheinen unsere Feinde zu sein.«
»Rätselhaft«, brummte Horn. »War Grimm von Anfang an im Auftrag der weisen Weiber unterwegs?«
»Gute Frage«, sagte Sanne. »Warum haben sie uns überhaupt losgeschickt, wenn es so wäre?«
»Man hält sie für die guten Seelen Pinafors. Also mussten sie den Schein wahren«, erwiderte Sneewitt. »Außen hui und innen pfui. Widerwärtige Heuchelei!«
»Das sind alles nur Mutmaßungen«, widersprach Hans.
»Du hast doch selbst vom Offensichtlichen gesprochen«, rief Hardt. »Offensichtlich ist, dass sie Maleen im Auftrag ihrer Herrinnen töten sollten. Offensichtlich ist, dass sie jetzt von Grimm geführt werden. Das lässt doch nur einen Schluss zu!«
»Ja. Aber … ich kann das nicht glauben«, flüsterte Hans und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Du
willst
es nicht glauben«, berichtigte ihn Sneewitt, »weil du Barbera anhimmelst. Oder bist du wirklich so naiv?«
»Die weisen Weiber wachen über die Geschicke Pinafors«, sagte Hans. »Sie haben die Gografen beraten. Sie haben …«
»Sie haben die Gografen ausgeschaltet«, rief Sneewitt. »Die Feste ist von einer Dornenhecke umgeben, dichter und höher als die im Föhrenforst. Niemand gelangt hinein, niemand kommt heraus, und alle, die sich darin aufhalten, liegen in einem tiefen Schlaf.«
»Kann sein«, sagte Hardt und zupfte am Kinnbart. »Auf jeden Fall müssen wir nach dieser Sache alles in einem neuen Licht betrachten.«
»Vielleicht …«, murmelte Hans.
»Nicht vielleicht«, erwiderte Sneewitt gereizt, »sondern ganz bestimmt!«
Die anderen merkten, wie Hans mit sich haderte. Seine Miene wechselte von Enttäuschung zu Trauer. Schließlich sagte er leise: »Ja, ihr habt recht. Ich glaube …« – er rang um Worte – »… ich habe vorhin Barbera oben auf den Klippen gesehen.« Er musste sich eingestehen, dass das jüngste weise Weib ihre Zuneigung nur geheuchelt hatte. Sie hatte ihn umgarnt und benutzt, und er verlor schon wieder jemanden, der ihm lieb und teuer gewesen war. Er keuchte mit zusammengebissenen Zähnen und ballte die Fäuste, um nicht vor Wut zu heulen.
Seine Gefährten starrten ihn an.
»Diese falsche Schlange«, zischte Sneewitt. »Sie spinnt ihre Intrigen sicher hinter dem Rücken der anderen weisen Weiber. Hätte ich sie gesehen, dann hätte ich ihr einen Pfeil zwischen die Rippen gejagt.«
»Ich verstehe dich sehr gut«, sagte Horn, der Hans einen Arm um die Schultern legte. »Schlimm, wenn Gewissheiten und Hoffnungen zerbrechen. Wir sind jetzt auf uns allein gestellt. Aber …« – er schaute Hans an – »… wir geben nicht auf. Oder was meinst du?«
»Oh, nein«, erwiderte Hans zornig. »Und wenn alle Welt gegen uns wäre! Wir müssen erfahren, was hier gespielt wird.« Er sah über die Schulter zum Wolfsfelsen, wo Kunz den
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