Der Eiserne Rat
Wolke ihr Inneres nach außen, und man erkennt Bewegung darin, nicht vom Wind verursacht oder zufällig. Arme recken sich wie flehend aus dem Vapor, und ein Mann taucht auf, behaftet mit grauen Schlieren, die zu Silikonchitin werden, ihn wie verpuppt zu Boden werfen. Dahinter ist ein anderer, der Nebel hustet, und noch einer wühlt sich aus dem kreidigen Schwalk, der ihn mit einer Kruste überzieht, während er gegen den steifer werdenden Panzer anfuchtelt.
Judah erreicht sie. Der erste Mann ist Miliz. Man erkennt die Uniform durch Lücken in der gezackten Epidermis aus Stein, doch unmöglich kann man Wut oder Hass auf ihn empfinden, der torkelt und nach Atem ringt durch einen Mund voll mineralischem Brei. Der andere ist vom Rat. Nicht zu retten. Seine Kameraden versuchen, den Helm zu zerbrechen, der sich über seinem Kopf gebildet hat, doch als es ihnen schließlich gelingt, haben sie ihm in ihrem Eifer den Schädel eingeschlagen.
- Wir müssen weg, ruft Uzman von oben. Er ist erschüttert, dennoch Herr der Lage.
Ein enormes Geschwür aus Stein verschließt den Einschnitt, durch den der Zug gekommen ist. Das Gleis verschwindet darin, auf ewig versiegelt oder bis irgendwann der Fels sich spontan wieder verflüssigt. Judah lässt seinen Golem zerflattern, und die Luftströmungen um sie herum fühlen sich anders an.
Eine Bewegung erregt seine Aufmerksamkeit, und sein Gesicht verzerrt sich, als er in der Mitte der neuen Felsformation einen Unterarm herauswachsen sieht, schräg aufwärts wie eine makabre Gebirgspflanze. Die Hand greift oder versucht zu greifen, letzte Zuckungen des in dem Rauchstein eingeschlossenen Toten.
Obschon sie Teile des Zuges mit ihren Bomben zerstören, sind die Aeronauten verunsichert. Sie schwenken herum und entdecken die plötzliche Blockade, den Felsen, der ihre Kameraden verschlungen hat. Kühn gewordene Dirimisten holen sie vom Himmel. Einen sieht Judah trudelnd zur Erde sinken, Gas strömt aus seinem durchlöcherten Ballon.
Wie von einem gleichzeitigen Impuls ergriffen, streben die Aeronauten über die neu entstandenen Hügel hinweg auf die andere Seite. Uzman bellt Befehle, und Dirimisten laufen, um den abgestürzten Ballonfahrer seiner Ausrüstung zu entledigen, um sich den Stoff des kleinen Luftschiffs zu holen. – Wir müssen Schmarotzer werden, sagte Uzman. – Das müssen wir lernen, von nun an. Er schaut zum Himmel. – Das waren nicht die Letzten, meint er, bevor Judah überhaupt dazu kommt, Erleichterung zu empfinden.
Aber sie stellt sich doch noch ein, die Erleichterung, im Lauf des Tages und der Nacht der Weiterfahrt in das deckungslose, unbekannte Terrain. Erleichterung und die schmerzliche Trauer um die vielen, die zurückgeblieben sind.
- Sie sind nicht alle im Rauchstein gefangen worden, sagt Uzman. Seine Stimme verrät das trotzige Bemühen, den eigenen Worten Glauben zu schenken. Judah beißt sich auf die Lippen. – Einige von ihnen waren noch ziemlich weit weg.
Auf der anderen Seite, drüben, bei den Truppen New Crobuzons. Ein schwacher Trost. Judah malt sich aus, wie es für sie gewesen sein muss, Miliz wie Dirimisten, zuzuschauen, wie diese Wolke versteinerte und ihren Freunden, Kameraden zum ewigen Grabmal wurde.
Die glücklich Entkommenen widmen sich ihrer neuen Umgebung. Sie frösteln, als im Fackelschein die Landschaft ein unheimliches Eigenleben entwickelt. Sie sehen andere Lichter, die sich vollkommen falsch in die entgegengesetzte Richtung bewegen, hören Rufe, die sie nicht verstehen oder als ihre eigenen erkennen.
Sie scharen sich zusammen. Das Gleis verrückt sich ein wenig. Um einen Hauch nach Norden, ein Wispern. Uzman führt sie in die Malakornukopische Zone. Sie berühren nur den äußersten Rand, aber das ist schon mehr, als irgendein Sterblicher wagen sollte.
Sie haben eine Tür aus Fels hinter sich geschlossen, und der Sonnenaufgang zeigt ihnen zum ersten Mal ihre neue Umgebung in hellem Licht. Meilenweit Strauchwerk in gewöhnlichen Farben, Balsam für die Augen nach dem grauen Stein. Der Boden ist jäh gewellt, erinnert an ein aufgewühltes Meer. Unglaublich viele Bäume und Felszähne, um sie zu schützen, und blühende Ranken in Bonbonfarben. Und kleine Teiche und was die Natur sonst noch an Dekoration spendiert, und in der Richtung, in die der Zug und die Schienen weisen, eine enorme Umwälzung des Geländes. Judah kann es fühlen. Alle fühlen es. Durch die Räder.
Die Schatten liegen nicht alle auf derselben Ebene. –
Weitere Kostenlose Bücher