Der Eiserne Rat
Wir machen nur eine Stippvisite, sagt Uzman. – Nur mal eben über die Mauer spucken. Die Schatten sind falsch, und Judah spürt Wind, der in widersprechende Richtungen weht. Wenn keiner hinschaut, verändert der Boden sein Profil.
Sie haben so viele ihrer Toten zurückgelassen, unbestattet. Auch Shaun liegt dort hinten irgendwo im ewigen Schlaf.
Ein letztes Mal transportiert Judah Schienen. Er hebt sie auf bei dem neuen Felswall, unter der verdorrenden Hand, und führt die Maultierkarren nach vorn, um sie vor der Lok wieder anzuflicken. Zwei eiserne Stummel ragen aus dem Steinnebel.
Sie werden von Tieren beobachtet, von Pflanzen mit Augen. In der zweiten Nacht sitzt Judah mit seinen Freunden um ein Feuer, das aus irgendeinem geheimnisvollen Grund mit weißer Flamme brennt. Uzman, Ann-Hari, Thick Shanks und die frei gewählten Sprecher von Schraubern, Rutengängern, Bremsern, Wasserträgern, den ehemaligen Huren und den Mitläufern.
- Ihr habt es geschafft, sagt Judah. Uzman und Ann-Hari schlucken das Lob, ohne mit der Wimper zu zucken. – Ihr habt die Miliz abgeschüttelt. Und jetzt seid ihr in diesem seltsamen Land.
- Noch haben wir’s nicht überstanden.
- Nein, noch nicht. Aber das kriegt ihr hin. Bestimmt. Es gibt einen Ort hinter dem Regenbogen. Einen Ort, der weit genug weg ist, wohin sie euch nicht folgen. Ein Platz zum Hütten bauen, wo es Früchte gibt und Fleisch. Ihr könnt jagen, fischen, Vieh züchten – was weiß ich. Ihr könnt lesen, und wenn ihr alle Bücher im Bibliothekswagen durch habt, schreibt selber welche. Da müsst ihr hin …
- Aber was ist hier? Was erwartet uns hier?
- Ich weiß es nicht. Es wird schwer werden, aber ihr kommt durch. Judah weiß nicht, wieso er redet wie ein Prophet. Genau genommen ist nicht er es, der spricht, es ist das Ding in seinem Innern, sein besseres Ich. – Sie werden euch nicht folgen. Darauf wette ich – einen Monatslohn.
Allgemeines Gelächter. Geld ist längst ein Anachronismus. Manche horten es noch, aus Sentimentalität, aber es taugt nur als Schmierpapier für die Kinder. Die Münzen als Schmuck.
- Und Uzman hatte Recht, obwohl er im Irrtum war, fährt Judah fort. – Wir hätten in der Heimat Bescheid sagen sollen. Überlegt doch: Möglicherweise erfährt nie jemand, was aus euch geworden ist.
Man sieht ihn schweigend an. – Natürlich könnt ihr euch sang- und klanglos davonstehlen, und alles, was man über euch sagen wird, ist, dass damals, als man die Eisenbahn gebaut hat, der Bauzug verschwunden ist. Die Remade wurden fReemade und haben den Zug entführt. Ihr wollt mehr als das. Die Remade in der Stadt, die warten, sie haben Besseres verdient.
- Ein paar Leute wissen, was passiert ist.
- Schon, aber werden sie die Geschichte richtig erzählen? Erst wird man als Gerücht von euch hören, aber wollt ihr nicht ein Mythos werden? Ein unsterblicher Mythos, der etwas bewirkt? Wollt ihr, dass man in eurem Namen streikt, um Verbesserungen kämpft, um Freiheit?
Ann-Hari lächelt.
Judah sagt: – Ich gehe zurück. Nach New Crobuzon. Ich werde eure Stimme sein.
Zuerst beschuldigen einige ihn der Feigheit, er hätte Angst, mit ihnen diesen kleinen Abstecher ins Tausendplagenland zu unternehmen. Aber in Wirklichkeit glaubt keiner, dass er feige ist. Es tut ihnen Leid, dass er sie verlassen will.
- Wir brauchen deine Golems, sagt eine Frau.
- Wie kannst du einfach weggehen? Bedeutet der Eiserne Rat dir so wenig?
Judah fährt auf.
- Das fragt ihr mich?, sagt er. – Das wagt ihr, mich zu fragen? Und sie schämen sich.
- Ich werde euer Barde sein. Ich werde ihnen von euch berichten. Jetzt stillhalten.
Der Magnesiumblitz grellt, und die vor dem Objektiv Versammelten zwinkern geblendet.
Selbst an diesem fremdartigen Ort, überschattet von der Drohung des Torques, angesichts des unnatürlichen Himmels und der Unberechenbarkeit des Tausendplagenlands, und im Rücken den Rauchstein, gibt es welche, die den Rat verlassen.
- Ein paar werden es schaffen, sagt Judah. – Als fReemade … Sie gehen nicht zurück nach New Crobuzon, nicht als Remade, nicht auf den Knien.
- Ihr schafft es, ihr kommt durch. Er schaut sie an ohne den geringsten Zweifel im Blick. – Nehmt das, sagt er. Seinen Voxiterator. Sie machen fragende Gesichter. – Hier. So bringt ihr ihn dazu, dass er bewahrt, was ihr sagt. Sie schauen zu, wie er den Wachszylinder einsetzt, und nehmen die Reserverollen an sich, die er ihnen gibt. – Jedes Jahr
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