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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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den Schenkeln haftete nur wenig schwärzlicher Schorf.
    »Er war schon tot«, flüsterte Cutter. Das grausame Tableau erfüllte ihn mit beklommener Scheu. »Sie haben das einem toten Mann angetan. Nachdem sie die anderen begraben hatten.« Das Rot unter dem Kinn des Gekreuzigten war kein getrocknetes Blut, sondern blutiges Metall. Mit abgewandtem Blick löste Cutter es vom Hals des Toten.
    Es war ein winziger Wappenschild. Ein Abzeichen der Miliz von New Crobuzon.
     

     
    Der schwebende Mann überquerte das große Wasser. Haar und Kleidung flatterten im Wind. Wenige Meter unter ihm rollten die Wogen des Kargen Meers, und Gischt befleckte seine Hosenbeine.
    Ein Schatten erschien unter der Oberfläche, und ein Schwertfisch schnellte neben ihm in die Luft, auf dem Scheitelpunkt des Sprungs in Reichweite seiner Hand. Er vollendete den Bogen und öffnete sich mit dem körpereigenen Speer den Weg zurück in die Tiefe. Der Fisch folgte dem Mann getreulich, in immer gleichem Abstand.
    Jedes Mal, wenn er hochsprang, wenn er sich ins Sonnenlicht katapultierte, begegnete er mit seinem großäugigen Seitwärtsblick dem Auge des schwebenden Mannes. Etwas Schwarzes haftete an seiner Rückenflosse. Ein Wesen, welches unter der Haut des Fisches wanderte und fraß.

 
Kapitel 4
     
     
    Ohne die Karte zu Rate zu ziehen, hielten sie auf die dritte Ansammlung von Lichtern zu. Dahinter lag quer vor dem Horizont eine Felsmauer ähnlich dem gezackten Rückenkamm eines Reptils, durch die sie früher oder später einen Weg finden mussten.
    Cutter hatte die vom Blut rostige Plakette eingesteckt. Ihm war übel. Er wusste, die Miliz war vor ihnen. Vielleicht kommen wir zu spät.
    Unterwegs kamen sie an Dolinen vorbei, aber das Wasser darin war Jauche. Der Not gehorchend, nahm Fejh davon, um sein Fass aufzufüllen, auch wenn seine Haut in der Brühe wund und rissig wurde. Sie erlegten Karnickel und unachtsame Vögel. Sie kamen an Antilopenherden vorbei, machten einen Bogen um Rotten wilder Schweine, die so groß waren wie Pferde.
    Cutter kam es vor, als zögen sie eine Fährte wie eine schwärende Wunde über das Land. Am Morgen des dritten Tages nach der Entdeckung des gekreuzigten Milizsoldaten näherten sie sich dem letzten Dorf. Die Sonne stieg über die Höhen und badete sie in rosigem Licht, und etwas bewegte sich, von dem sie geglaubt hatten, es sei ein Felszacken oder ein astloser Baum.
    Sie schrien auf. Ihre Reittiere prallten zurück.
    Ein Riese kam auf sie zu, ein Kaktusgigant, größer, als sie je einen zu Gesicht bekommen hatten. Die Kakti waren gemeinhin zwischen zwei und drei Meter groß, dieser aber brachte es auf mehr als die doppelte Höhe. Er war eine Naturgewalt, etwas Elementares, aus Fleisch und Gebein der Erde erschaffen, die Gestalt gewordene Steppe.
    Der zyklopische Rumpf ruckte auf knorrigen Hüften, die säulendicken Beine und zehenlosen Stumpffüße waren rachitisch verkrümmt. Sie trugen den Koloss schwerfällig vorwärts, schwankend wie ein Baum im Sturm. Die grüne Haut war an vielen Stellen aufgeplatzt und wulstig vernarbt. Die Stacheln waren fingerlang.
    Der Kaktusriese kam näher, seinen hölzernen Bewegungen zum Trotz beängstigend schnell. Als Keule diente ihm ein halber Baum. Diesen schwang er drohend, und aus weit offenem Mund in einem Gesicht ohne Mimik drang hohles Brüllen, Unverständliches, irgendeine Abart von Sunglari.
    »Halt! Halt!« Alle schrien. Elsie deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Angreifer. Ihre Augen waren blutunterlaufen. Cutter wusste, sie bemühte sich, mit ihren schwachen Kräften sein Bewusstsein zu erreichen.
    Der Kaktusmann setzte unerbittlich Fuß vor Fuß. Fejhs Pfeil schlug mit einem dumpfen Plopp in den mächtigen Körper und blieb tropfend und schmerzlos in der Flanke stecken.
    »Töte euch!«, röhrte der Kaktus in hässlichem Ragamoll. »Mörder!« Er hob seine enorme Waffe über den Kopf.
    »Wir haben das nicht getan!«, schrie Cutter. Er schleuderte die Plakette dem Riesen vor die Füße und feuerte alle sechs Kugeln seines Revolvers darauf ab. Der Kaktus erstarrte, die Keule verharrte reglos. Cutter spuckte auf das Abzeichen, bis sein Mund trocken war. »Wir haben das nicht getan.«
     

     
    Er war etwas nie Gesehenes. Cutter hielt ihn für ein Opfer des Torques, zerfressen von den schädlichen Einflüssen einer malakornukopischen Zone, aber dem war nicht so. In dem letzten verlassenen Dorf erzählte der Kaktusmann ihnen von sich. Er war Ge’ain – sie

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