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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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übersetzten es für sich als »Spätling«.
    Mittels arkaner Maßnahmen hielten die Kakti der Steppe einige ihrer Ableger in einem Schlafzustand, Monate über den normalen Reifepunkt hinaus. Während ihre Geschwister greinend aus der Erde krochen, schliefen die Ge’ain, die Spätlinge, weiter in ihren Chorions und wuchsen. Ihre Körper nahmen an Masse zu, während Zauberkräfte sie in einem verlängerten embryonalen Zustand hielten. Erwachten sie endlich und kamen ans Licht, waren sie gigantesk. Sie wuchsen überproportional.
    Die Makromelie führte zu Behinderungen. Die holzigen Knochen waren verwachsen, die Haut war rindig und übersät von krankhaften Wucherungen. Ihre überscharfen Sinne bereiteten ihnen Pein. Sie waren die Hüter, die Verteidiger und Wächter ihrer Heimstätten. Sie waren Tabu. Gemieden und abergläubisch verehrt. Sie hatten keine Namen.
    Die Finger an der linken Hand des Spätlings waren zusammengewachsen. Er bewegte sich langsam, sichtlich unter Schmerzen in allen Gliedern.
    »Wir nicht Tesh«, sagte er. »Nicht unser Krieg, nicht unser Zwist. Aber sie dennoch kommen. Miliz.«
    Vom Fluss her waren sie gekommen, eine Kavallerieeinheit mit Köpfern und automatischen Gewehren. Schon lange hatte man in den Dörfern Geschichten aus dem Norden gehört, von Gefechten zwischen der Miliz und den Streitkräften aus Tesh. Flüchtlinge berichteten von barbarischen Gräueltaten der Soldaten, und die Kakti flohen vor den Marodeuren.
    Bei einem Dorf kam die Miliz an, ehe die Bewohner flüchten konnten. Dort hatte man Flüchtlingen aus dem Norden Unterschlupf gewährt, die Schreckliches zu berichten wussten, und war entschlossen zu kämpfen, statt sich der Gnade der Soldaten auszuliefern. Sie traten der Miliz als angstvoller Haufe entgegen, bewaffnet mit Knüppeln und Feuersteinmacheten. Was folgte, war ein Gemetzel. Ein gefallener Milizzer blieb zurück, an dem die Ge’ain inmitten der zerfetzten Kaktusleiber ihren Zorn ausließen.
    »Zwei Wochen her, seit sie gekommen. Danach sie uns jagen«, erklärte der Spätling. »Sie bringen den Krieg nun hier zu uns?« Cutter schüttelte den Kopf.
    »Verdammter Schlamassel«, sagte er. »Die Milizzer haben es nicht auf diese armen Teufel abgesehen. Sie sind hinter unserem Mann her. Diese Kaktusleute sind wegen der Schauergeschichten in Panik geraten und haben sich zur Zielscheibe gemacht.
    Hör zu«, wandte er sich an den Riesen. »Die Leute, die deine Freunde abgeschlachtet haben, sie suchen nach jemandem. Sie wollen ihn aufhalten, bevor er seine Botschaft überbringen kann.« Er richtete den Blick in das große Gesicht. »Es werden noch mehr von ihnen kommen.«
    »Tesh werden auch kommen. Um gegen sie zu kämpfen. Feuer von zwei Seiten.«
    »Ja«, nickte Cutter. Er schwieg lange. »Doch wenn er gewinnt, wenn er ihnen durch die Finger schlüpft, dann wird die Miliz – dann hat die Miliz möglicherweise anderes zu tun, als hier Krieg zu führen. Vielleicht ist das für dich ein Grund, uns zu helfen? Wir müssen sie daran hindern, ihn zu fangen.«
     

     
    Die missgebildeten Hände als Schalltrichter um den Mund gelegt, stieß der Spätling einen Ruf aus, ursprünglich wie das Schmerzgeheul eines waidwunden Tieres. Der Klageton rollte über die Ebene. In der heißen Nacht verstummten die Tiere, aus der Stille wuchs eine Antwort, ein ähnlicher Ruf, aus vielen Meilen Entfernung. Cutter spürte ihn in der Magengrube.
    Wieder und wieder rief der Spätling, gab Kunde von sich, und im Lauf der Nacht kamen nach und nach weitere Ge’ain herbei, mit gewaltigen, obgleich schmerzsteifen Schritten. Fünf waren es, und alle verschieden – einige mehr als sechs Meter groß, andere kaum halb so viel, gebrochene und wieder zusammengewachsene Knochen, ungeschlacht. Eine Kompanie der lahmen, der bresthaften Giganten.
    Die Gefährten fühlten sich klein und armselig in ihrer Gegenwart. Die Spätlinge gaben untereinander ihrer Trauer Ausdruck, in ihrer eigenen Sprache. Cutter richtete ehrerbietig das Wort an sie. »Mit eurer Hilfe«, sagte er, »könnte es uns gelingen, die Miliz aufzuhalten. So oder so, es wäre eine Gelegenheit, die Mörder zur Rechenschaft zu ziehen und Rache zu üben für die Toten.«
    Eine Stunde standen die Spätlinge im Kreis zusammen und beratschlagen, mit Worten und Berührungen. Ihre Bewegungen waren bedächtig, infolge des Gewichts ihrer Glieder. Arme, verlorene Krieger, dachte Cutter, doch seine Ehrfurcht blieb ungemindert.
    Schließlich sprach der

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