Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
noch geschah, die Geschichte des Kollektivs.
     

     
    »Alle gütigen Götter«, seufzte Elsie. »Wir haben es erreicht. Es ist passiert. Es ist passiert. O Götter!« Sie war selig. Judahs Gesicht glänzte.
    »In Dog Fenn hat es angefangen«, sagte einer der Flüchtlinge. »Einfach so.«
    »Stimmt gar nicht«, widersprach ein anderer. »Wir wussten, dass ihr kommt – der Eiserne Rat. Wir müssten den Boden für euch bereiten, hieß es.«
    Sie waren unglaublich eingeschüchtert von dem Eisernen Rat. Leibhaftig standen vor ihnen die Gestalten, die sie oft und oft gesehen hatten, im Lauf vieler Jahre, auf jener berühmten Heliotypie. Man musste sie ermuntern zu sprechen.
    »Keine Arbeit, kein Lohn – die Leute hungern. Da ist der Krieg, und ehemalige Milizzer erzählen, wie es wirklich zugeht an der Front, und jetzt auch noch die Terrorakte der Teshi. Man kann sich nicht mehr sicher fühlen, und die Stadt sorgt nicht für uns … Und dann haben wir gehört, dass welche ausgezogen sind, um den Eisernen Rat zu suchen.« Judahs Miene verriet, wie bewegt er war.
    »Terrorakte der Teshi?«, fragte Cutter. Der Mann nickte.
    »Ja. Manifestationen. Die da oben sagen, sie werden mit den Teshi ins Reine kommen, sie werden Frieden schließen. Aber es wird immer schlimmer, und keiner weiß, ob sie auch tun, was sie sagen. Da sind Demonstranten zum Parlament gezogen und haben Schutz gefordert, für die Bevölkerung, aber in der Menge waren welche, die haben Sprechchöre gebildet und mehr verlangt als nur das und haben Flugblätter verteilt. Welche vom Gremium, glaube ich. Aber als Antwort kamen Medusenreiter und die Shunn und die Miliz und alle drauf auf uns.
    Und einer brüllt, da ist ein Handlinger vorneweg. Und sofort war die Hölle los.
    Ich war nicht dabei, hab nur davon erzählen hören. Überall Tote in den Straßen. Und als die Leute die Miliz in die Flucht geschlagen hatten … In der ganzen Stadt Barrikaden, wie aus dem Boden gewachsen. Der Zeitpunkt für uns zu tun, was nötig war. Wir brauchten keine Miliz. Die sollten draußen bleiben.
    Das war, nachdem wir erfahren hatten, dass die Bürgermeisterin tot ist.«
    Abgeordnete aller Distrikte hatten sich zu einem Kollektiv zusammengeschlossen, in Aufregung und Verwirrung ein- und wieder abberufen, als die Leute begriffen, es gab keine Wahllotterie mehr, jeder von ihnen besaß unmittelbare Macht. Nach einigen Tagen hatte das Gegen-Parlament diese rabiate Demokratie beschnitten, aber nur, versicherte man hoch und heilig, weil man sich in einem Zweifrontenkrieg befand. Die meisten Mitglieder des Kollektivs votierten für Friedensverhandlungen mit Tesh; sie scherte es keinen Deut, wer im Südmeer was kontrollierte.
     

     
    »Weshalb seid ihr hier?«, wollten die Dirimisten wissen.
    Die New Crobuzoner blickten zu Boden und wieder auf und gaben zur Antwort, die Heftigkeit der Kämpfe hätte sie veranlasst, aus der Stadt zu flüchten, und es gäbe viele Vertriebene. Sie waren seit Wochen unterwegs und auf der Suche nach dem Eisernen Rat.
    Das waren weder Gremisten noch Kollektivisten, dachte Cutter, nur einfache Leute, die sich unversehens in einer gegen das Regime aufbegehrenden Stadt-in-der-Stadt wiederfanden, unter Beschuss. Sie hatten ihre Habseligkeiten in einen Handwagen gepackt und die Flucht ergriffen. Nicht eine Vision oder strategische Erwägungen hatten sie getrieben, den Eisernen Rat zu suchen. Sie kamen, um anzubeten. Cutter verachtete sie. Judah hingegen war überglücklich.
    »Es geschieht, es geschieht«, sagte er. Seine Stimme klang belegt. »Der Aufstand des Proletariats, das zweite Aufbegehren, wir haben es vollbracht. Unser Beispiel! Der Eiserne Rat, er war die Inspiration. Als sie hörten, dass wir kommen …«
    Ann-Hari starrte ihn an. Im scheidenden Tageslicht schien er von einer Aureole umgeben zu sein, und er sprach, als deklamierte er ein Gedicht. »Vor vielen Jahren haben wir unsere Ketten gesprengt, und dieser Zug, der Eiserne Rat, ist das Fanal unserer Befreiung. Er hat auf seinem Weg Geschichte geschrieben. Und tut es erneut, heute, jetzt, denn von unserem Beispiel beflügelt, haben die Bürger New Crobuzons sich gegen den Klüngel im Parlament erhoben.«
    Er bot einen erstaunlichen Anblick, verklärt, verzückt. Doch Cutter wusste, erwar im Irrtum. Wir haben das nicht getan, Judah. Sie waren es. In New Crobuzon. Mit oder ohne den Rat.
    »Jetzt«, sagte Judah, »fahren wir in die Stadt, wir schließen uns ihnen an. Wir sind nicht mehr weit

Weitere Kostenlose Bücher