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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Spezialoffensive. Sie brachte mehr Tod und einen Anstieg der Beschäftigung. Jeder kannte jemanden, der in den Krieg gezogen oder aus einer Hafenkneipe verschwunden war. Die Werften in Tarmuth, der Satellitenstadt im Mündungsdelta, bauten Panzerkreuzer und Unterseeboote in großer Stückzahl und gaben den Anstoß zu einem bescheidenen Aufschwung der Wirtschaft, was auch den Walzwerken und Gießereien in New Crobuzon zugute kam. Der Krieg hielt ihre Räder in Bewegung.
    Gilden und Gewerkschaften wurden willkürlich für ungesetzlich erklärt oder in ihren Rechten eingeschränkt und kastriert. Für eine Anzahl von denen, die sich daran gewöhnt hatten, in Armut zu leben, gab es nun Arbeit, allerdings war der Wettbewerb brutal. New Crobuzon vibrierte wie ein zum Zerreißen gespannter Draht.
     

     
    Jedes Zeitalter hatte seine volkstümlichen Banditen. Jack Gotteshand in Oris Kindheit, Bridling in der Woche des Staubs, Alois und ihre Gesellen ein Jahrhundert früher. Sogar Jabber persönlich, je nachdem wie man es betrachtete. Durch die Umstände in eine besondere Rolle gedrängt, Regeln außer Kraft setzend: Die Menge, die auf die Remade spuckte, hätte Jack Gotteshand zugejubelt. Unzweifelhaft waren einige das Phantasieprodukt der Geschichte, armselige kleine Taschendiebe, im Lauf der Jahrhunderte romantisch verklärt.
    Manche hinwiederum waren echt: Ori hätte bei Jack darauf geschworen. Und jetzt gab es Toro.
     

     
    Am Schädeltag trieb Ori sich mit den Nuevisten herum. Er nahm seinen Tagelohn und ging zu ihnen in die Zwei Maden an der Barrow Bridge, wo sie sich mit Blick auf die von Käferspei überzogenen Dächer Kinkens am gegenüberliegenden Flussufer mit Spielen verlustierten und über Kunst debattierten. Die Studenten und Vertriebenen aus dem Künstlerviertel freuten sich immer, Ori zu sehen, war er doch einer aus der Hand voll echter Arbeiter in der Gruppe. Am Abend veranstalteten Ori und Petron ein provokatives Happening, schlenderten als Schweine maskiert nach Salacus Fields und vorbei am Glock’ und Gockel, längst seines anarchischen Charmes verlustig gegangen, wo heutzutage die Parvenüs und Laffen aus der Oberstadt sich trafen, um Boheme zu mimen. Die Nuevisten grunzten die Trinkenden an und riefen »Ah, Nostalgie!« mit quäkenden Schweinestimmen.
    Am Staubtag schuftete Ori als Schauermann und trank am Abend in einer Arbeiterkneipe in Skulkford. Inmitten von Qualm und bierseligem Gelächter, vermisste er die bunte Originalität der Zwei Maden. Ein Schankmädchen fing seinen Blick auf, und er erkannte sie wieder, von irgendeiner subversiven Zusammenkunft. Sie schlug die Schürze zurück, damit er das Lauffeuer in ihrer Kitteltasche sehen konnte, als Aufforderung an ihn, ein Exemplar zu kaufen. Der Ärger und die Enttäuschung nach seinem Gespräch mit Curdin überfielen ihn mit aller Macht.
    Er schüttelte so heftig den Kopf, dass sie offenbar glaubte, sie hätte sich in ihm geirrt. Vor Schreck wurden ihre Augen groß. Armes Mädchen, er hatte sie nicht ängstigen wollen. Er überzeugte sie, dass es ungefährlich war, mit ihm zu reden. Er nannte sie Jack. »Ich habe die Nase voll davon«, sagte er halblaut zu ihr. »Es steht mir bis hier, dass die vom LF immer nur sagen, wie es ist, aber nie irgendwas tun. Nichts als reden und reden und warten auf Veränderung, die nicht kommt.« Er verlieh mit einer gehässigen Handargot-Parodie seiner Verachtung Ausdruck.
    »Worauf genau willst du hinaus?«, fragte sie.
    »Worauf ich hinauswill …« Ori dolchte erregt mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. »Seit Monaten lese ich das Zeug jetzt. Ich meine – sieh doch, die Milizzer tun was. Die Spifeds tun was. Und die Einzigen auf unserer Seite, die was in Gang bringen, sind Übergeschnappte wie die Exzess Liga oder Banditen wie Toro.«
    »Das meinst du doch nicht ernst, oder?« Jack senkte beunruhigt die Stimme. »Ich meine, du kennst die Einschränkungen …«
    »Gottschiet und Dammich, Jack, komm mir jetzt nicht mit ›den Beschränkungen individueller Aktion‹. Ich bin einfach müde. Manchmal … Wünschst du dir nicht auch manchmal, dir wäre alles egal? Klar, natürlich willst du Veränderung, wir alle wollen Veränderung. Aber wenn verdammt noch mal doch alles beim Alten bleiben soll, dann wünschte ich mir wenigstens, es wäre mir egal.«
    Am Fischtag stieg Ori an der Saltpetre Station aus. In der dunstigen Abenddämmerung ging er durch das Backsteinlabyrinth von Griss Fell, vorbei an Hausfrauen,

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