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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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die den Dreck der Maschinenfabriken und die Graffitischnörkel von ihrer Schwelle schrubbten und über die schmalen Gassen hinweg von Fenster zu Fenster ein Schwätzchen hielten. In einem ehemaligen Stallgebäude verteilte eine Suppenküche Näpfe an eine Schlange Bedürftiger. Nominell zeichnete Kinken für die wohltätige Einrichtung verantwortlich, und demzufolge war eine Khepri-Triade anwesend, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten. In Anlehnung an ihre Schutzgöttinnen, die Starken Schwestern, war eine der Khepri mit Armbrust und Steinschlosspistole bewaffnet, die zweite mit Speer und Wurfnetz, und die dritte mit dem auf der Basis von Federmotoren funktionierenden Blitzwerfer.
    Die Khepri reckten ihre sehnigen, blutvollen Frauenleiber. Sie unterhielten sich ohne Worte mit den Fühlern und vorderen Gliedmaßen ihrer Kopfkäfer, den schillernden, sechzig Zentimeter langen Skarabäen auf ihren Schultern. Chymische Essenzen, die sie versprühten, dienten ebenfalls der Kommunikation. Sie drehten sich zu Ori herum, der sich in ihren Facettenaugen vielfach widergespiegelt sah, erkannten ihn und zeigten auf einen der Kessel. Er widmete sich der Beschäftigung, an die geduldig wartenden Gestalten Suppe auszugeben.
    Geld aus Kinken hatte den Anstoß für die Armenküche gegeben, doch betrieben wurde sie von Leuten aus dem Viertel. Nachdem der Bürgermeister verkündet hatte, die Stadt könne für die Versorgung der Bedürftigen nicht mehr aufkommen, entstanden alternative Strukturen. Um die Regierenden New Crobuzons zu beschämen und auch aus blanker Notwendigkeit, etablierten verschiedene Gruppen soziale Programme. Sie waren unzulänglich organisiert und überlaufen und vermehrten sich durch den Wettbewerb der Sekten karnickelartig.
    In Spit Hearth bestellten die Kirchen den Acker der Wohltätigkeit: die Sorge um die Alten und die Waisen und die Mittellosen lag in den Händen von Hierophanten, Mönchen und Nonnen. Mit ihren Behelfshospitälern und Armenspeisungen erwarben die Apostaten und Zeloten ein Ansehen wie mit tausend Jahren Predigen nicht. Ihr Einsatz veranlasste die Spitze-Feder-Partei, ein Asyl in Sunter zu eröffnen. Es war ausschließlich Menschen vorbehalten und diente den Quillern als Ergänzung ihrer Straßenkampfaktionen. Die Insurrektionisten, denen Verhaftung drohte, sobald sie an die Öffentlichkeit traten, konnten nicht dagegenhalten.
    Sie arbeiteten stattdessen mit dem Geld aus Kinken – es stammte, hörte man, von Francine 2, der Verbrecherkönigin der Khepri. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Bosse der unterhalb der Legalität florierenden Wirtschaftszweige karitative Einrichtungen subventionierten: von Vielgestalt in Bonetown erzählte man, er sichere sich die Sympathie der örtlichen Bevölkerung durch eigene Hilfsprojekte. Doch wo immer das Geld herkommen mochte, das Asyl in Griss Fell wurde von Bürgern aus dem Viertel betrieben, und das Gremium war diskret bemüht, durchsickern zu lassen, es sei ebenfalls beteiligt.
    Auf Grund des nicht zu vermeidenden Miteinanders von Gremisten verschiedener Tendenz und Parteilosen war die Atmosphäre gereizt. Die Aktivisten waren gezwungen, ihre Teepausendispute im Flüsterton zu führen.
    Ori schöpfte Suppe in dargereichte Kummen. Viele der Gesichter erkannte er, von manchen der Ausgestoßenen wusste er die Namen. Viele waren Remade. Eine Frau, der man zur Strafe die Augen genommen hatte – ihr Gesicht war eine glatte Hautfläche von der Nase bis zum Haaransatz –, schlurfte vorbei, an den Mantelzipfel ihres Begleiters geklammert. In der Hauptsache waren es Menschen, doch es kamen auch Angehörige anderer Rassen, die die soziale Leiter hinuntergestiegen waren oder gar nicht erst hinauf. Ein sehr alter Kaktusmann, dessen Stacheln dürr und brüchig aussahen. Männer und Frauen mit Narben an allen sichtbaren Körperpartien. Manche waren jenseits von Gut und Böse, sangen Hymnen oder schwätzten wirres Zeug oder stellten unsinnige Fragen. »Bist du ein Läufer?«, fragte ein Alter mit strähnigem Haar. Der verblasste Rest eines unidentifizierbaren Akzents war noch herauszuhören. »Bist du ein Läufer? Bist du ein Exzessiver? Bist du verboten? Bist du ein Läufer, Sohn?«
    »Ori! Kommst du, um deine Sünden zu büßen?« Ladia war die Vollzeitkraft vom Dienst. Sie neckte alle Freiwilligen damit, dass sie kämen, um sich ihren Ablass zu verdienen. Sie war nicht dumm – sie wusste, welcher Gruppe die jeweiligen Helfer tatsächlich verpflichtet

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