Der eiserne Thron
irgendwie kann. Es liegt in meinem
eigenen Interesse.«
Owen wechselte einen Blick mit Hazel. »Ihr wart die ganze
Zeit über sehr still. Erzählt mir nicht, daß Ihr diese Obszönität
gutheißt.«
»Du bist hier auf Nebelwelt , Aristo«, erwiderte Hazel
freundlich. »Hier sind die Dinge anders. Wenn dir die Menschen hier manchmal kalt und herzlos erscheinen, dann liegt
es daran, daß sie außerhalb des Imperiums überleben müssen.
Wenn sie jemals schwach werden sollten, und sei es nur für
einen Augenblick, dann löscht die Eiserne Hexe sie bis auf
den letzten Mann, die letzte Frau und das letzte Kind aus. Anderen Planeten ist es bereits so ergangen. Das weißt du
selbst.«
Owen wandte den Blick ab. Seine Augen bewegten sich
über die schlafenden Körper, und ein Gefühl bitterer Hilflosigkeit breitete sich in ihm aus.
»Fragt sie«, erwiderte er am Ende brüsk, »… fragt sie, wo
sich Jakob Ohnesorg aufhält.«
Chance nickte und schlenderte durch den Mittelgang davon,
wobei er von einer Seite zur anderen blickte, hier und da anhielt und ein besonders verzerrtes Gesicht musterte, bevor er
weiterging. Schließlich blieb er vor dem Lager eines Knaben
stehen, der nach seinem Aussehen vielleicht zwölf Jahr alt
sein mochte. Der junge Esper war bis auf die Rippen abgemagert, und auf seinem knochigen Gesicht zeichnete sich eine
dünne Schweißschicht ab. Er murmelte Unverständliches vor
sich hin, schnell, atemlos, und sein Kopf rollte rastlos von
einer Seite zur anderen. Irgendwie hatte er es trotz der ledernen Fesseln geschafft, die Infusionsnadel aus seinem Arm zu
reißen, und Chance führte die Nadel gekonnt wieder ein.
Dann kniete er neben dem Bett nieder und brachte seinen
Mund ganz dicht an das Ohr des Jungen. Langsam und sanft
begann er zu dem Jungen zu sprechen, und seine leise Stimme
schien den Esper ein wenig zu beruhigen. Er hörte auf zu
murmeln, den Kopf hin und her zu werfen und kämpfte nicht
mehr gegen die ledernen Fesseln. Seine Augen öffneten sich,
aber sie starrten ins Leere. Sie sahen nichts – oder vielleicht
alles. Hazel und Owen setzten sich in Bewegung, und Chance
gestikulierte wütend, daß sie gefälligst bleiben sollten, wo sie
waren. Er nahm einen kleinen Gegenstand aus einer seiner
Taschen und wickelte ihn aus dem Papier, dann steckte er ihn
in den Mund des Knaben. Owen dachte im ersten Augenblick
an eine Pille und erkannte erst allmählich an den langsamen
Kieferbewegungen des Jungen, daß es ein Bonbon gewesen
sein mußte. Chance beugte sich wieder zu dem Ohr des
Espers hinunter und sprach weiter.
»Komm schon, Johnny. Du kannst es. Tu es für mich, ja?
Ich habe noch so einen Leckerbissen für dich, hier, sieh mal.
Finde mir einfach nur den Mann, Johnny. Finde den Mann,
der sich Jakob Ohnesorg nennt.«
Chance murmelte ununterbrochen weiter, ohne je die Stimme zu heben, ohne eine Pause zu machen, leise, ruhig, beständig, und nach einiger Zeit begann der Knabe mit klarer,
fester Stimme zu sprechen.
»Du suchst den Rebell, den Namen, den man überall kennt,
den Kämpfer gegen das System, aber er ist nicht zu finden.
Jakob Ohnesorg hat einen neuen Namen, und er führt ein anderes Leben. Die Bluthunde des Imperiums kamen zu oft zu
nahe, und er hat den Kopf eingezogen. Such in seinem Loch
nach ihm, in seinem Versteck. Geh zum Olympus-Sportpalast
unten im Uferviertel und frag dort nach Jobe Eisenhand. Er
wird nicht mit dir reden wollen, also liegt es an dir, ihn zu
überzeugen.« Unvermittelt brach er ab und wandte den Kopf
zu Owen und Hazel. Er musterte die beiden mit seinen allwissenden Augen und fuhr fort: »Ich sehe dich, Owen Todtsteltzer. Das Schicksal hält dich in seinen Fängen, so sehr du dich
auch sträubst. Du wirst ein Imperium zu Fall bringen, und du
wirst das Ende von allem erleben, an das du je geglaubt hast.
Du wirst alles aus Liebe tun, einer Liebe, die du nie erfahren
wirst. Und wenn es vorüber ist, dann stirbst du – allein, weit
weg von allen Freunden und ohne Beistand oder Hilfe.«
»Das reicht, Johnny«, unterbrach ihn Chance. Der Esper
schloß seine beunruhigenden Augen wieder und wandte den
Kopf ab. Seine Worte wurden wieder zu dem leisen, bedeutungslosen Gemurmel, das sie vor Chances Fragen gewesen
waren. Chance erhob sich und kehrte zu Owen und Hazel zurück. »Schenkt dem wirren Geplapper am Schluß nicht zu viel
Beachtung«, sagte er. »Einige meiner Kinder behaupten steif
und fest, Blicke auf die Zukunft zu
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