Der eiserne Tiger
nicht.« Hamid klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Komm, wir müssen weiter. Wenn Cheung uns erwischen will, braucht er Pferde. Und um die zu bekommen, muß er ins Dorf. Das hält auf.« Ein teuflisches Grinsen lag auf seinem Gesicht. »Aber vielleicht haben wir Glück und eine meiner Granaten hat ihn zerrissen. Vielleicht liegt er jetzt da unten in seinem Blut.«
Da riß der Wind ein Loch in den Vorhang aus Schnee, und sie konnten einen kurzen Blick auf die Straße tief unten werfen. Mehrere Soldaten lagen bewegungslos im Schnee. Diejenigen, die überlebt hatten, krochen oder gingen zwischen ihnen umher. Aber ein Mann stand wie angewurzelt da und starrte in die Berge hinauf. Der Pelzkragen seines schweren Wintermantels umrahmte sein bleiches Gesicht.
»Das Glück war uns nicht hold«, murmelte Hamid schaudernd.
Als dichtes Schneetreiben ihnen wieder die Sicht nahm, wandte Drummond sich ab und ging hinter Hamid her durch die wirbelnden Flocken bergauf.
Die Granaten hatten unten auf der Straße ein fürchterliches Blutbad angerichtet. Cheung ging umher und inspizierte die Toten und die Sterbenden. Die Bestandsaufnahme ergab, daß nur noch Feldwebel Ng und drei andere Soldaten auf den Beinen waren. Alle anderen waren dahingerafft worden. Da kam einer der Soldaten aus dem Dorf aus dem Wald gehinkt und hielt seinen blutüberströmten Arm umklammert. Sein Lammfellmantel war ganz naß vom Schnee. Cheung ging ihm mit dem Feldwebel an seiner Seite entgegen. »Bist du aus Chamdo, dem nächsten Dorf?« fragte er.
»Jawohl, Herr Oberst.«
»Wie bist du denn da hingekommen?«
»Mit dem Boot von Huma aus. Zwei Patrouillen haben den Fluß überquert, wir sind stromabwärts gekommen.«
»Gibt es da Pferde?«
»So viele Sie nur wollen, Herr Oberst.«
Cheung zog seine Karte heraus, um sich ein Bild machen zu können. Der Feldwebel sah ihm über die Schulter. Cheung fuhr mit dem Finger den Pfad entlang, der von Chamdo über die Berge zum Ladong Gompa führte.
»Da wollen sie also hin«, sagte er leise. Er wandte sich an den Feldwebel. »Das ist doch ein tibetanischer Name.«
»Hört sich ganz nach einem Kloster an, Herr Oberst«, meinte dieser.
Cheung faltete die Karte wieder zusammen und wandte sich an den verwundeten Soldaten aus Chamdo. »Wie weit ist es bis zum Dorf?«
»Fünf Meilen, Herr Oberst.«
»Dann dürfen wir keine Zeit verlieren.« Er nickte dem Feldwebel zu. »Wir werden so schnell wie möglich dorthin marschieren und uns Pferde besorgen.«
»Und was wird aus den Verwundeten, Herr Oberst?«
»Die lassen wir liegen. Wir schicken jemanden aus dem Dorf her.«
Er stellte seinen Pelzkragen auf und marschierte hocherhobenen Hauptes auf der hartgefrorenen Straße in das Schneegestöber hinein.
13. Kapitel
DAS GEBIRGE GOTTES
Blindlings stolperten sie durch das Schneetreiben vorwärts. Der Tod schien weit entfernt, das Tal lag tief unter ihnen - jetzt hatten sie es, ganz auf sich gestellt, mit dem ältesten Feind der Menschheit zu tun, hatten den Kampf mit den Naturgewalten zu bestehen.
Der Berghang war sehr uneben. Überall lagen riesige Felsblöcke verstreut. Durch die Schneedecke konnten sie nicht sehen, wohin sie traten. Das machte das Gehen sehr beschwerlich. An einer Stelle strauchelte Father Kerrigans Pferd und sank in die Knie. Hamid packte es am Zügel und zog es mit roher Gewalt wieder hoch.
Janet brachte ihr Pferd zum Stehen, und Drummond trat neben sie. Sie war mit Schnee bedeckt, hatte ganz rote Wangen und sah lächelnd zu ihm hinunter.
»Wie fühlst du dich?«
»Danke, sehr gut - und Kerim geht es auch gut.«
Der Junge war so in Decken eingemummt, daß nur sein eines Auge herausschaute. Das fing plötzlich an zu glänzen. Da wußte Drummond, daß Kerim lächelte.
»Diese Pferde sind an die rauhen Berge gewöhnt«, sagte Hamid. »Lassen Sie sie nur laufen. Sie wissen schon, wie sie gehen müssen.«
»Glaubst du, daß wir den Weg finden werden?« fragte Drummond.
»Es gibt keinen Grund, den Weg zu verfehlen. Wenn wir weiterhin diagonal in östlicher Richtung hinaufreiten bzw. -steigen, können wir den Weg gar nicht verpassen.«
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Hamid ging voran, dann folgte Father Kerrigan zu Pferde. Drummond ging am Schluß. Je höher sie kamen, desto steiler wurde der Anstieg. Als sie zu dem kahlen Berghang gelangten, trieb ihnen der Wind die
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