Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Howard
Vom Netzwerk:
Hina, der Statue. Und dann fingen meine Beine wieder an zu strampeln. Als hätte sich mein Herz gerade erst wieder daran erinnert, zu schlagen.
    Es brachte mir allerdings nicht viel. Wieder nur nutzloses Paddeln und Platschen. Immerhin schaffte es eine meiner Hände aus dem Wasser, eine Sekunde lang spürte ich Luft auf meiner Haut, und ich versuchte mich dort zu halten. Dann versank ich wieder. Dunkelheit. Ich weiß, dass ich kurz weggetreten war, denn einen Moment lang geschah nichts, ich trieb einfach durch die trübe Finsternis.
    Plötzlich wurde ich angehoben. Hände krallten sich in mein Shirt und meine Hose und zerrten mich durch das Dunkel nach oben.
    Mein Gesicht durchbrach die Wasseroberfläche, aber ich konnte trotzdem nicht atmen. Mein Kiefer war verkrampft, und meine Lider flatterten, Wasser schwappte in meinem Körper. Wieder wurde ich ohnmächtig. Als ich das nächste Mal zu mir kam, lag ich im Matsch. Jetzt sprang auch meine Lunge wieder an wie ein kalter Motor. Ich zitterte bei jedem Atemzug.
    Die Laufwege bildeten einen Betonhimmel über mir, ein Netz aus Stahl und Stein. Ich versuchte, mich aufzusetzen, schaffte es aber nicht ganz. Dicht neben mir hockte Sal, als würde er nur darauf warten, dass ich etwas sagte.
    *
    Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der so viel Auftrieb hatte wie Sal. Der Kerl war praktisch unsinkbar. Es kostete ihn wahnsinnige Mühe, auf meinen Wunsch hin unterzutauchen und nach der Nagelpistole zu suchen. Seine Beine ragten in die Luft und verschwanden kurz, dann kam er mit leeren Händen wieder hoch. So ging das mehrere Male.
    »Ich kann sie nicht finden.« Prustend und keuchend paddelte Sal zurück ans Ufer. »Es ist zu tief.« Er streckte sich im Schlamm aus und schüttelte den Kopf.
    Blicklos starrte ich zur Stadt hinauf. Ich fühlte mich wie ausgekotzt. Mir war klar, dass ich verschwinden musste, und zwar möglichst schnell und möglichst weit weg. Ich dachte an Pa. An die Bäume.
    Aber dann dachte ich an Alpha.
    »Ich gehe wieder da hoch«, erklärte ich.
    »Du bist doch irre. Die Frauen sind total durchgeknallt. Und dann diese Männer, so viele Waffen hast du noch nie gesehen!«
    »Wo ist der Pferch?«
    Er zeigte in die entsprechende Richtung. »Ist jetzt voller Wasser. Und Leichen. Wenn du nicht schwimmen kannst, kommst du da nie hin.«
    »Dann folge mir«, erwiderte ich. »Wir gehen zurück zum Wald. Von da aus finde ich schon einen Weg.«
    »Hier gibt’s ’nen Wald?«, fragte Sal neugierig, während wir durch den Matsch stapften.
    »Oh, ja.« Immer wieder spähte ich durch die Risse in den Laufplanken. »Und das ist noch nicht alles.«
    Unterhalb der Farne entdeckte ich eine Säule, an der wir hochklettern konnten, also schob ich Sal in die Höhe und drückte immer wieder nach, bis er oben ankam. Er starrte die Statue von Hina an, als hätte sein Gehirn den Dienst quittiert.
    »Das ist
sie
«, flüsterte er.
    »Warte nur, bis du ihr Inneres siehst.«
    Ich scheuchte ihn bis vor die Statue und erklärte ihm, wie er durch den Fuß hineingelangen konnte. Dann wandte ich mich wieder in Richtung Stadt.
    Inzwischen fielen kaum noch Schüsse. Nur hin und wieder zerriss ein Knall die Stille. Der Rauch hatte sich ebenfalls aus den Straßen verzogen, und während ich durch das Chaos lief, öffnete der Himmel wieder seine Schleusen und spülte den Rest fort. Die aufgehäuften Leichen wurden zu Brei.
    Als ich die Stadtmitte erreichte, hatte ich noch immer niemanden gesehen, und nun fing ich auch an, nach Alpha zu rufen. Aus vollem Hals brüllte ich ihren Namen.
    *
    Ich hörte sie lange, bevor ich sie sehen konnte, und als ich sie endlich entdeckte, hätte ich sie fast nicht erkannt. Breitbeinig stand sie auf der Stadtmauer und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Dabei machte sie ein Geräusch wie ein Wesen, das gerade erst begriffen hat, dass es fliegen kann, und noch nicht fähig ist, diese Freiheit zu begreifen.
    Durch die letzten Rauchschwaden blickte ich zu ihr hoch. Sie war wie etwas, das man unbedingt bauen wollte, wenn man es denn könnte. Als würde sie für etwas stehen, das sich mit Worten nicht ausdrücken ließ.
    Sie war über und über mit Schlamm bespritzt, und ihre flauschige Weste war durch das Blut anderer verfilzt. Fasziniert sah ich zu, wie sie beide Arme in die Luft streckte und die Waffe über dem Kopf schwenkte, während sie weiter diesen Kampfschrei ausstieß, den ihr unmöglich ein Mensch beigebracht haben konnte.
    Als ich endlich den Mut aufbrachte,

Weitere Kostenlose Bücher