Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Glück, mein Äffchen.«
    Natürlich frage ich mich, was wohl auf dem Zettel stehen mag. Ich frage mich das, sobald ich nur die Arme verschränke und den Fisch auf der Brust spüre.
    Eins, zwei, drei, vier, fünf Schläge. Fünf Glasen.
    Bakewell glaubt, allein aus Platzgründen kann auf dem Zettel bloß entweder eine Bibelziffer stehen, ein Spruch wie »Denk an mich!« oder ein einzelnes Wort, so wie in dem Telegramm von König Georg. Und er meint, ich solle besser ihn den Zettel lesen lassen, schon damit er mir sagen kann, was darauf stand, falls ich Ennids Fisch verliere.
    Schlau gedacht, Bakewell. Aber nicht schlau genug.

5
Schiffbruch
    W enn ich mich auf die Seite lege und die Beine an den Bauch ziehe, kann ich vielleicht doch etwas schlafen. Ich nehme mir eine Jacke von den Haken als Decke. Denn ob es an meiner Müdigkeit liegt oder daran, dass Nacht ist, mir wird immer kälter. Überall auf dem Spindboden liegen Lappen und zusammenfaltete Tücher, die nach Öl und Teer riechen. Ich stopfe sie mir hier und da unter die Knochen, und so geht es, jetzt liege ich erst einmal. Wenn ich nur die Beine ausstrecken könnte.
    Vier Stunden dauert jede Wache. Affenwache von 16.00 bis 20.00 Uhr, Bärenwache von 20.00 Uhr bis Mitternacht, dann die Rattenwache bis 4.00 Uhr morgens, anschließend die Hundewache. Affenwache, weil zu der Zeit fast alle in den Wanten hängen. Bärenwache, weil das Schiff nachtklar gemacht wird, was immer eine Plackerei ist. Rattenwache zum einen wegen der Ratten, von denen dir, wenn du Pech hast, nachts an Deck mehr über den Weg laufen als Männer, zum anderen kommst du dir während der Rattenwache bald selbst wie eine Ratte vor, so schnupperst du in die Dunkelheit, weil du ständig auf der Hut bist, so flitzt du bei jedem Geräusch um die Ecken. Und warum die Hundewache so heißt: Nach gerade mal vier Stunden Schlaf muss man das Schiff tagklar machen, den Ausguck besetzen, die Tagwachen vorbereiten und, was noch am schlimmsten ist, die Männer der Tagwachen wecken, ohne dass sie einem ins Gesicht springen. Am Ende der Hundewache fragt man sich, wer eigentlich müder ist: du oder der, den du weckst. Alle sind hundemüde. Alle müssten geküsst, gestreichelt und gebadet werden am Übergang zur Hundewache. Aber alle fühlen sich bloß geprügelt.
    Sechs Schläge.
    Genau so spät war es, als die JOHN LONDON auslief: sechs Glasen. Wir verließen Newport mit drei Stunden Verspätung, die sich keiner erklären konnte und über die auch niemand ins Bild gesetzt wurde. Von Anfang an sorgt so etwas für schlechte Stimmung. Die Wachen geraten durcheinander, und schon gibt es Teile der Mannschaft, die im Herzen die Krätze haben.
    Keine Chance, ich kann so nicht schlafen. Wo ist die Flasche?
    Fast leer.
    Wann war Bakewell hier? Wahrscheinlich nach Wachablösung, kurz nach Mitternacht. Ob ich einfach rausgehe und mir selber Wasser hole?
    Lieber nicht. Auch wenn jetzt diese Bilder wiederkommen und ich alle die Gesichter vor mir sehe. Wie die Männer an Deck standen und darauf warteten, dass es losgeht: zweiunddreißig Mann über gut 800 Tonnen Holzbohlen im Frachtraum für den Eisenbahnbau in Uruguay. Und zwei dieser übernächtigten Burschen Bakewell und ich.
    Mister Albert hatte die Nörgler trotz allem gut im Griff, und zunächst schien die Disziplin an Bord nicht das Problem zu sein. Denn dass die JOHN LONDON ein Problem hatte, wurde selbst mir schnell klar. Es begann damit, dass das Gerücht die Runde machte, die gebunkerte Kohle sei von minderer Qualität. Ich hatte mich gewundert, weshalb man in Schornsteinnähe von einer Rußdusche beregnet wurde, und erhielt damit eine Erklärung. Bakewells Gesicht wurde im doppelten Sinne von Tag zu Tag finsterer. Als wir während einer gemeinsamen Freiwache in unseren Bunks lagen, erklärte er mir, dass die Schmutzschleppe, die das Schiff hinter sich herzog, ein untrügliches Zeichen dafür sei, dass die Kessel zu wenig Kraft lieferten. Die JOHN LONDON würde alle Mühe haben, ihre für diese Verhältnisse viel zu schwere Fracht sicher durch einen größeren Sturm zu bewegen.
    Aber ich weiß auch noch, wie glücklich ich war. Es gab Stunden, in denen ich alle Furcht vergaß und mir bewusst machte, welche Freiheit ich genoss. Umgeben von nicht einmal drei Dutzend Männern, sauste ich unter vollen Segeln

Weitere Kostenlose Bücher