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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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LONDON auf Grund lief, war die See ruhig, die Sonne schien, und wir hockten wie verhungernde Katzen an Deck und warteten darauf, dass man uns sichtete. Überall im Wasser zwischen den Felsen trieben unsere Habseligkeiten. Und auch fünf Leichen gab das Wrack noch frei. Mister Alberts war nicht darunter. Sie blieb im Forecastle, das mein Vater gebaut hatte, und ging damit unter.
    Ich wäre dort nie mehr von Bord, nie nach Montevideo, dann Buenos Aires und schließlich auf die ENDURANCE gelangt, wäre nicht zum Glück für uns alle jener Schiffszimmermann Rutherford wieder zur Vernunft gekommen. Ohne Rutherfords mäßigenden Einfluss hätten zumindest ein paar von seinen Kerlen nicht lange gefackelt und uns, die wir zu Käpt’n Coon hielten, kurzerhand ins Meer geworfen.
    Sieben Tage nach unserer Havarie nahm uns ein Küstenfischer auf und brachte uns in den Hafen von Montevideo. In einem kleinen Hospital päppelte man uns ein paar Tage lang auf, bevor eines frühen Morgens die Miliz im Hof stand und Rutherford und seine fünf Wirrköpfe verhaftete. Ich weiß noch, wie ich in dem Pappelwäldchen, das zu dem Krankenhaus gehört, Käpt’n Coon traf, der dort allein spazieren ging, und wie gern ich ihn auf die Vorkommnisse an Bord und die Verhaftungen angesprochen hätte. Aber für einen Schiffsjungen ist das völlig ausgeschlossen.
    Â»Na, Merce, auch unterwegs? Gehen ist besser als stehen«, sagte Coon, und schon war er vorbei. Ich hatte nicht einmal Zeit, mein »Yesser« anzubringen. Ich ging weiter. Da rief er mich, und ich merkte, dass er mir nachkam.
    Er habe, sagte er, meinem Dad versprochen, auf mich aufzupassen. Dem Kapitän, der sein Schiff verliert, sei ich zwar keine Rechenschaft schuldig. Trotzdem solle ich ihm bitte sagen, was meine Pläne seien.
    Ich sagte ihm die Wahrheit: Ich hatte keine Pläne.
    Coon sagte plötzlich: »Die Männer müssen sich vor Gericht dafür verantworten, dass ohne ihr Fehlverhalten der Bootsmann und alle die anderen noch am Leben wären. Das wird wohl einige Monate in Anspruch nehmen. Aber wenn du einverstanden bist, werde ich deiner Familie schreiben, dass es dir gut geht.«
    Ich bat mir Bedenkzeit aus. Am Tag darauf erhielten wir übrigen sechs unsere Heuer, und als wir das Hospital verließen, bat ich Käpt’n Coon, meinen Eltern nicht zu schreiben. Mein Entschluss überraschte ihn nicht, er fragte nicht einmal nach meinen Gründen. Vielleicht hat er geahnt, als er mir im strömenden Regen die Hand gab, dass ich ihm keine Gründe hätte nennen können.
    Gleich mein erstes Schiff ist untergangen. Ein echter Seemann würde sagen: Diesen Schatten wirst du nicht mehr los. Lass es bleiben! Aber ich bin kein Seemann, so wenig wie ich ein Zimmermann bin und meinem Vater nachkomme. Und könnte Dad mich so sehen, gekauert in meinen Spind, mit schokoladeverschmiertem Mund, er würde mir die Handschuhe und Gummistiefel um die Ohren hauen.
    Und Recht hätte er. Warum bin ich nicht zur Marine gegangen und habe auf der INVINCIBLE oder INFLEXIBLE angeheuert, Panzerkreuzer mit einem Schlafsaal im Zwischendeck für 800 Matrosen, die Hängematte an Hängematte dort baumeln? Da kommt keine Einsamkeit auf, da kommt keiner auf dumme Gedanken. Du hast dein Kanonenrohr, in das kriechst du einmal am Tag hinein und machst es sauber, du hast deinen Landurlaub, dein Seegefecht, dein Seemannsgrab und deine Meldung im South Wales Echo :
    Seeschlacht mit kaiserdeutschen Verbänden vor Argentinien
    Zu unseren auf See gebliebenen Helden zählt Merce Blackboro, Sohn des traditionsreichen Schiffszimmererbetriebes
    Der achte Schlag zeigt an: Die Rattenwache ist vorbei. Jetzt rennen sie runter und rütteln die Hunde aus dem Schlaf.
    In den Häfen am Rio de la Plata habe ich vom Krieg nicht viel bemerkt. Wenn man den Zeitungen glaubt, ist es bloß eine Frage der Zeit, wann sich Argentinien und Uruguay von dem um sich greifenden Wahnsinn anstecken lassen. Den Leuten, die ich kennen gelernt habe, ist unsere euphorische Feindseligkeit fremd. Hass auf einen Zaren, ein paar alte Könige oder zwei komische Kaiser, die nicht nur ähnlich aussehen, sondern sogar dieselbe Sprache sprechen, ist ihnen unverständlich und empfinden sie als störend. Und so nannten sie uns denn auch Störenfriede, perturbadores.
    In La Boca verschiebt man die Tagesverrichtungen auf kühlere Abendstunden;

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