Der eiskalte Himmel - Roman
folgte, die es gar nicht erst ins Freie geschafft hatten.
Ohne Mister Albert war der Käptân so hilflos wie wir. Er hörte nicht mehr auf, die absurdesten Verwünschungen zu brüllen, weil wir nichts taugen würden. Bakewell und der Schiffszimmermann, ein Bulle aus Liverpool namens Rutherford, mussten Vormast und GroÃmast kappen. Sie hieben zwei Stunden lang auf die Mastbäume ein, während das Wrack auf und nieder stieà und sich selbst in Stücke zerlegte. Von den Masten befreit, richtete sich die JOHN LONDON noch einmal auf, und es war ein Glück, dass wir Holz geladen hatten; jede nicht schwimmende Fracht hätte uns mit sich in die Tiefe gezogen. Erst nachts irgendwann kam der GroÃmast von den Wanten klar. Wie die Axt, mit der Bakie auf ihn eingedroschen hatte, schlug der gefällte Mast noch lange gegen das Schiff.
Am nächsten Morgen war das Einzige, was aus dem Wasser ragte, das Heck, ein zersplitterter Mast und eine ungleiche Reihe von Streben, wo sich die Reling des Achterdecks befunden hatte. Ich war klitschnass und halb tot vor Kälte. Es gab keinen Platz, um sich auszuruhen. Jede See brach über das Wrack hinweg. In Coons Kajüte schwappte uns das Wasser um die Knie, aber dort war es wenigstens windgeschützt. Der Käptân konnte eine Gruppe, die sich um Rutherford bildete, davon überzeugen, dass wir alle nur dann überleben würden, wenn wir abwechselnd einen Ausguckposten besetzten. Nachmittags rief Bakewell herunter, dass ein Schiff in Sicht sei. Alle stürmten hinauf, klammerten sich an die Reling oder kletterten in die verbliebene Takelung, um den Kreuzer im Auge behalten zu können. Aber dessen Kurs führte nicht in die Nähe. Danach wollte keiner mehr den Mann auf dem Mast ablösen. Und nach dem zweiten Tag hatten auch Coon, Bakewell und ich genug. Von da an trieb das Wrack ohne Ausguck im Sturm.
Von den 32 waren noch 13 Mann am Leben. Wir waren fast steif gefroren, hatten nichts zu essen und nur ein paar Flaschen Wein zum Teilen. Alles, was es an Proviant und Trinkwasser gab, war unter Deck bei den Fischen. Frischwasser lieà sich in winzigen Rationen beschaffen, indem wir uns einen herumschwimmenden Deckel angelten. Aber es regnete nicht viel. Wenn es regnete, fingen wir die Tropfen mit dem Hemd auf und wrangen das Wasser entweder sofort in den Mund oder zuerst in den Deckel, bevor wir es tranken. Als sich das Wetter etwas beruhigt hatte, konnte ich Wasser an Stellen des Decks aufwischen, die das Salzwasser nicht erreichte. Aber zu essen hatten wir nichts, und es lieà sich nicht das Geringste besorgen, obwohl am Himmel lauter Vögel waren.
6
Im Gewimmel der Geschützrohrmatrosen
S ieben Glasen vorbei. Einmal noch muss der, der oben auf dem finsteren Deck steht, die Schiffsglocke schlagen, bevor er in seine Bunk krabbeln und schlafen kann. Dann beginnt die Hundewache, und vier endlose Stunden lang wird das Schiff vom Nölen und Grummeln derer regiert, die nur an eines denken können: Kaffee.
Ja, das wärâs! Jetzt einen Becher Kaffee, schwarz wie Lakritz und so ölig und nach Feuer duftend wie das Zeug, das an all den Lappen klebt.
Es müssen mindestens zehn Paar Gummistiefel sein, die ich am anderen Ende zu einem Haufen aufgeschichtet habe, um überhaupt etwas Platz zu haben. Immer wieder rutscht mir einer der schweren Treter auf die Beine oder klemmt urplötzlich zwischen Planken und Rücken. Eine Unzahl von Gegenständen ist mit mir hier eingepfercht. Eine Armlänge über den Stiefeln baumeln die Jacken und Anoraks, Lederhandschuhe, Gummihandschuhe, Fellhandschuhe, alles kreuz und quer durcheinander, und überall liegen die Lappen und Tücher herum und verbreiten einen Geruch wie im Maschinensaal eines Totenschiffes.
Ganz so schlimm ist es nicht. Aber angenommen, die ENDURANCE liefe auf ein Riff auf und kehrte ihr Innerstes nach auÃen wie die JOHN LONDON am Wellenbrecher vor Montevideo, wo unser Wrack schlieÃlich 90 Seekilometer vor der Küste ganz unspektakulär auf eine Sandbank lief und keinen Mucks mehr von sich gab, so würde sich jeder, der noch Gelegenheit dazu hat, wundern, was alles herausgespült kommt aus Blackboros Kammer. Handschuhe über Handschuhe. Und so viele Lappen, Läppchen und Läpplein, dass man damit den ganzen Weg über den weiÃen Kontinent mit kleinen, schwarz verschmierten Fahnen bestücken könnte. Am Tag, als die JOHN
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