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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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dahin, und kilometerweit, Hunderte von Kilometern weit rings um uns her war nichts als Wasser. Es ist wunderbar, das Steigen und Fallen der See nicht nur zu beobachten, sondern zur selben Zeit am eigenen Körper zu spüren, dass es ein großes Einatmen und Ausatmen des Ozeans ist. Manchmal, wenn die Arbeit in der Küche getan war und ich an Deck nicht gebraucht wurde, stand ich allein oder mit Bakewell am Schanzkleid und konnte mich nicht satt sehen an der Weite und der Ruhe des grünen Meeres.
    Das Schönste ist, wie sich diese Ruhe auf einen selbst überträgt. Ich fing an, den Wind zu vermissen, wenn ich unter Deck war. Ich fühlte mich kräftig, frei und gesund. In solchen Momenten wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass dieses Glück noch anhielt und dass jeder viel öfter die Gelegenheit hatte, so glücklich zu sein. Es bleibt nicht viel von solchen Momenten. Die nie nachlassende Arbeit und die ständig neu auszufechtende Hackordnung unter der Mannschaft sorgen dafür, dass man schnell abstumpft. Man merkt es nicht einmal. Wenn sich dann die See gegen das Schiff wendet, bleibt von dem Glück keine Silbe übrig. Das Meer hat keine Sprache, daher kennt es auch keine Diplomatie. Seine Brecher kommen an Deck und schlagen um sich mit kalten Ketten.
    Nach neunwöchiger Fahrt kreuzten wir einige hundert Seemeilen vor der südamerikanischen Küste die ersten Vorboten eines gewaltigen Orkans und begannen zu ahnen, was auf uns zukam. Da sich der Sturm landwärts zu bewegen schien, befahl Käpt’n Coon auf der Höhe von Porto Alegre, Kurs offene See zu nehmen. So hoffte er, das schwere Wetter umfahren zu können. Wir hatten die Hoheitsgewässer Uruguays kaum erreicht, als wir aufs Neue in den Sturm hineingerieten. Und was für ein Sturm. Ehre sei Gott in der Höhe! Was da auf uns zuraste, war kein Orkan mehr. Das Schiff kletterte einen Wogenberg hinauf und machte auf dem Gipfel jedesmal fast Halt, um dann mit irrem Tempo rechts und links zu rollen; dann beruhigte es sich, und für einen Augenblick trat eine Pause ein, als erschräke es vor dem Abgrund. Aber wie eine Lokomotive schoss es hinab, sobald die See es achtern mit voller Kraft traf. Der Bug wurde bis zu den Kranbalken in die milchige Gischt getaucht, die von allen Seiten durch die Speigatten und über die Reling brach. Die schwersten unter diesen Sturzseen hoben die JOHN LONDON so weit aus dem Wasser, dass ihr Bug frei in der Luft schwebte.
    Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Wucht einer derartigen See in einer einzelnen Woge zusammentrifft.
    Als die Welle kam, traf sie das viel zu tief liegende Mittschiff und warf den Rumpf zur Seite. Bohlen schossen durch die Frachtluken heraus und zertrümmerten, was sich in ihrer Flugbahn befand, bevor sie ins Meer stürzten. Das Schiff raste mit starker Schlagseite ins Wellental. Die Leereling tauchte völlig unter, bis das Wasser die zerfetzten Lukenrahmen erreichte und in die Frachträume floss, während See auf See über das Schanzkleid brach und sich eisige Ströme über das Deck ergossen. Jeder Handschlag dort war lebensgefährlich. Wer keine Zeit gehabt hatte, sich festzubinden, klammerte sich mit Händen und Füßen an ein Geländer oder ein Spill und hoffte, dass es hielt und er nicht über Bord gespült wurde.
    Wir waren alle absolut hilflos, doch die meisten Männer wirkten zudem völlig verwirrt und gelähmt. Ein gemeinsames Ziel schienen sie nur in einem einzigen Punkt zu haben, nämlich darin, dass sie nicht gehorchen wollten. Die meisten jammerten bloß. Nur ein paar von ihnen schrien noch immer ihre Flüche heraus, aber damit nötigten sie mir keinen Respekt mehr ab. Als weder Mister Albert, auf den sie sonst, wenn auch murrend, hörten, noch der Käpt’n, für den sie nichts als Spott übrig hatten, sie dazu bringen konnte, an die Pumpen zu gehen und Segel zu setzen, um das Schiff in den Wind zu drehen, kenterten wir binnen einer Stunde, und alle die Tölpel, Großtuer und faulen Säcke kletterten an den Seiten hinauf und hingen hast-du-nicht-gesehen in der Takelung. Schließlich kroch auch ich dorthin, es war der einzig noch halbwegs sichere Ort. Als der Rumpf überkrängte, konnte Mister Albert nicht aus dem Forecastle heraus und ertrank. Ich sah meinen Koch wie einen Korken im Meer hüpfen, bevor er von einer zur anderen Sekunde unterging und damit all denen

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