Der Eisvogel - Roman
bei dem ich unaufmerksam bin, auch wenn es den Anschein haben mag. – Heraklit sagt, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei. – Heraklit kenne ich gut, ich habe viel über ihn gearbeitet. Er gehört, um es vorsichtig auszudrücken, nicht gerade zu den Modephilosophen. Es ist ein umstrittenes Zitat. Genausogut könnte man nämlich sagen, daß der Frieden der Vater aller Dinge sei, denn hinter jedem Krieg steht schließlich die Idee eines Friedens. Selbst bei Machiavelli und selbst in Clausewitz’ Vom Kriege, das dort auf deinem Bücherbord steht. – Du bleibst doch heute hier? Mauritz’ Gesicht hellte sich auf, als ich unschlüssig stehenblieb. Selbstverständlich bleibst du. Wir bekommen nicht oft Besuch, und ich wohne ja auch eigentlich nicht hier, sondern in der Friedrichstraße. Aber ich bin hier aufgewachsen, in diesem Haus. – Wer ist das Mädchen da auf dem Foto? Ich wies auf den Tisch, zwei Fotos in Kipprahmen standen darauf. Das Mädchen hatte einen feingezeichneten, sinnlich wirkenden Mund, blickte den Betrachter ernst und zugleich mit hauchfeiner Ironie an, deren Sitz in den ebenmäßigen, sehr weiblich wirkenden Zügen ich nicht entdecken konnte, so daß ich immer wieder hinschauen mußte. – Manuela, meine Schwester. Sie lebt in München. – Und wer ist das auf dem anderen Foto? Mauritz’ Gesicht verdüsterte sich; er stand auf, ging ans Fenster, wandte mir den Rücken zu. Meine Eltern. Sie sind tot. Bei einer Entführung gestorben. Ich möchte nicht darüber sprechen. Laß uns gehen
– Unruhe: Mauritz’ Anrufe beschränkten sich auf einKommst du mit? dann holte ich ihn in der Kanzlei ab, seltener von seiner Wohnung, in der peinliche Sauberkeit herrschte, was hätte Dorothea erst zu diesem zum aseptischen Loft ausgebauten Dachgeschoß in der Friedrichstraße gesagt, wenn sie meine Wohnung, die zwar auch sauber, aber abgewohnter als die von Mauritz war, Klosterzelle nannte, vielleicht Siliziumlabor, es gab eine Edelstahlküche, Glastische und Stahlstühle, im Arbeitsbereich Laptops und einen anthrazitschwarzen Computer, zwei Stahlsofas mit schwarzen Sitztafeln, wenige Bücher, vor allem Fachbücher zum Patent- und Markenrecht, biochemische Kompendien, die Bibel, Gedichte von George in den Prachtausgaben des Bondi-Verlags, ein Regal mit Noten und CDs, auf einem Podest neben dem Arbeitsbereich eine Stereoanlage, der man die zwanzigtausend Mark, die sie gekostet hatte, gerade deshalb ansah, weil ihre Frontansicht nichts war als ein ebenfalls anthrazitschwarzer, matt schimmernder Block; in einer Ecke des Lofts stand ein Architekten-Reißbrett mit verschiedenen schaltplanartigen Zeichnungen darauf – erst später würde Mauritz mir erklären, daß es sich um Grundrisse handelte: Fernsehturm am Alexanderplatz, das KaDeWe; auf einem runden Stahltischchen in der Mitte des Raums stand eine zylinderförmige Kristallvase mit schräg angeschnittener Mündung, ein einzelner Farnzweig darin; in der anderen Ecke ein schwarzer Stutzflügel, manchmal, wenn ich Mauritz abholte, hörte ich ihn schon von weitem darauf spielen. Bach. Dann blieb ich im Hausflur stehen und dachte: Jetzt ist er allein mit Bach und einer Klarheit von geradezu geometrischen Dimensionen; – Kommst du mit? Er hatte geduscht und die Unterwäsche gewechselt. Er wechselte seine Unterwäsche täglich zweimal, weniges haßte er so wie Schmutz und Unreinheit. Dann nahm er ein weißes Leinenhemd und einen seiner schwarzen Anzüge, die er von einem Maßschneider aus der Savile Rowbezog, wählte aus einer Reihe handgenähter Lendvay & Schwarcz- Schuhe , die ihm ein Geschäftspartner der Anwaltssozietät, in der er tätig war, aus Budapest zukommen ließ, ein passendes Paar, wir gingen
– für mich ist er etwas wie ein Wappentier, Kaltmeister griff nach einer Aschenschale und streifte den Aschkegel seiner Zigarre ab. Das Wappentier einer stolzen und stillen, im Hintergrund wirkenden Gilde miteinander verbundener Menschen, Naturwissenschaftler, Künstler, Politiker, Industrielle, denen die Werte des Humanismus noch etwas bedeuten, der Geist Goethes und Humboldts ... Verzeihung, ich bin unhöflich. Ich lasse es mir bei diesem schönen Sandblatt gutgehen und vergesse zu fragen, ob Sie rauchen. – Nicht so gut wie Sie, Herr Professor. Er schmunzelte. Nun, wenigstens für dieses Beisammensein können wir das ändern. Bevorzugen Sie intensivere oder leichtere Tabake? Prüfen Sie unsere Vorräte. – Er war mir sympathisch, ich forderte ihn heraus.
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