Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
ihre farbigen, elfenhaften Tagverwandten, Mauritz hob das Tier ins Licht, ließ es fliegen: Es hat auch nur Todesangst, sagte er leise, es kann nichts dafür, daß es auf uns häßlich und abstoßend wirkt
    – übrigens empfehle ich, die Zigarillospitze zu kupieren. Oh, Sie haben ein Taschenmesser? Das hat in meiner Jugend jeder Junge, jeder Mann bei sich getragen. Aber heute ... Das ist selten. Er musterte mich mit einer Mischung aus Überraschung und Respekt
    – kein gewöhnliches System, allerdings. Thomas Mann steht zwischen Hofmannsthal und Andersen, Brecht drei Etagen darüber. Ich hätte sie zusammengestellt, gerade weil sie sich gehaßt haben. Hans findet das unmöglich. Man kann doch Thomas Mann nicht neben Bertolt Brecht stellen! sagt er. Die Buchstaben revoltieren, die Texte werden gallig, Ärger und Säure zerfrißt die Einbände. Ich senkte den Kopf, um mein Lächeln zu verbergen, das Mauritz für respektlos halten konnte. Eine Bibliothek nach solchen Gesichtspunkten zu ordnen, erschien mir skurril. – Sieh ihm seine Schrullen nach, bat Mauritz. Er mag dich, das merke ich. Bald wird er dir Bücher leihen, und du mußt regelmäßig kommen
    – die Staaten, die ich untersuche, Kaltmeister beugte sich über den Kartentisch, der eine ganze Zimmerecke einnahm und mit Tafelwerken und Manuskriptblättern bedeckt war, arbeiten nach etwas anderen Prinzipien, als wir sie aus der Menschenrealität kennen. Geist und Demokratie ... Wir betreten heikles Terrain. Wissen Sie, Herr Ritter, es ist ja eine Anmaßung, wenn die Demokratie den Geist für sich in Anspruch nimmt. Nur der politisch-technologisch ausmünzbare Geist ist der ihre, also der, den man gemeinhin als den nützlichen bezeichnet. Es ist nicht immer der beste. Nun, mit Demokratie, wie wir sie im allgemeinen auffassen, haben die Staatenbildungen der Insekten wenig zu tun. Macht es sie deshalb erfolgloser? Im Gegenteil. Ich trat an den Tisch. Kaltmeister blätterte in einem Folianten, schlug eine Zeichnung auf. Mehrere zuckerhutartige Gebilde waren darauf zu sehen, diein einer Savannenlandschaft voller harter Schatten und sonnenverbrannter Bäume aus der Erde ragten. Interessieren Sie sich für Termiten? Ohne meine Antwort abzuwarten, begann Kaltmeister von diesen staatenbildenden Insekten zu erzählen. Die eigentümlich farblose Stimme hatte jetzt alle scherzenden Untertöne verloren. Der Professor stach die Sätze mit der gleichen Präzision in die Luft, mit der er die Insekten in den Schaukästen an den Wänden befestigt hatte. Seine Rede war nüchtern, und doch spürte ich darin die Freude an einer Schönheit, die auch das Trockene und Sachliche für den bereithält, der genau zu beobachten weiß. Er erzählte mir von der Zivilisation dieser Lebewesen, die auf ihn, der von der Erforschung der Bienen gekommen sei, zunächst eine abstoßende Wirkung gehabt habe: Licht und Frühling, Sonne, Äther, Himmelsblau auf der Bienen-, Nebel, Wildheit, Schmutz und Grabesluft auf der Termitenseite, eine Angelegenheit der Betrachtungsweise, wie er gefunden habe, unzulässig anthropozentrisch gewertet, ein Fehler, vor dem sich gerade der Wissenschaftler freizuhalten bestrebt sein müsse
    – fühlst du dich wohl in dieser Zeit, dieser Gesellschaft? fragte Mauritz, ich antwortete: Nein
    – hundert Millionen Jahre vor dem Erscheinen des Menschen, höre ich den Professor neben mir, er nickt mir zu, über den Rand seiner Brille blinzelnd, das leiten wir aus geologischen Untersuchungen ab, traten die Termiten auf. Pfui, Tasso. Verschwinde. Der Hund war an den Kartentisch gekommen, hatte sich aufgerichtet und die Pfoten darauf gelegt, um mit hechelndem Maul zu sehen, was es oben Interessantes gab. Mauritz schnalzte mit der Zunge, Tassos Kiefer schlappten zusammen, der Hund lief zu seinem Herrn, der hinter uns im Sessel saß und mit halbgeschlossenen Augen ins Leere starrte, seinen Onkel aber hin und wieder mit einer Frage unterbrach,die verriet, daß diese scheinbar schläfrige Haltung in Wahrheit angespannte Konzentration war und ihm kein Wort unserer Unterhaltung entging; Kaltmeister zeigte mir einen fossilen Bernstein mit eingekapselten Termiten
    – wir leben, und keiner weiß, wozu ... Was willst du tun dagegen, wenn du sagst, daß du dich nicht wohl fühlst in dieser Gesellschaft? – Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was man tun kann, Mauritz, – Du, der Philosoph, hast keine Vorschläge?
    – Fachbücher und Bände naturwissenschaftlicher Zeitschriften,

Weitere Kostenlose Bücher